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Abschied von Solla

Nach 15 Jahren wird Pfarrer Ronald Kudla in die Pfarrei Defalé im Norden Togos versetzt

Wie jedes Jahr im August hat sich das Dorf Solla in ein grünes Paradies verwandelt: Bäume, an denen Apfelsinen und Guaven reifen, sich füllende Bananenstauden, liebliche Reisfeldern und überquellenden Yamshügel. Stolz steht der Mais und zeigt seine dicken Früchte bei denen, die aus teuer erkauften Säcken ordentlich zu düngen wussten. Manche Bauern freuen sich schon auf eine zweite Ernte in diesem Jahr, denn aufgrund der frühen Regen und wegen Corona-schulfrei  konnte im April/Mai schon ordentlich geackert werden.

Für einen wird es die letzte Regenzeit, die er bei den Piyope und Boufalé erlebt. Ende Juli kam das Schreiben: Vater Ronald Kudla wird Solla verlassen und Pfarrer von Defalé werden. Viele waren geschockt und konnten es nicht glauben. Seit 15 Jahren arbeitet er in diesem entlegenen Dorf Togos. Er erinnert sich:

Beginnen wir mit der Einfachheit. Ich hoffe, keiner wird mir vorwerfen, dass ich großspurig gelebt habe. Immer mit der Frage, was wirklich notwendig ist, habe ich versucht, den Rest mit denen zu teilen, die es brauchen. Bis jetzt gibt es keinen Fernseher, keinen Kühlschrank, keine gefliesten Zimmer und kein Auto, außer unseren ziemlich zerkratzten Mehrzweck-Hilux-Pick-Up, mit dem man eine Menge Kinder, aber auch Sand und Zement transportieren kann. Die Leute hier sind wirklich sehr arm, obwohl man das nicht so sagen darf, denn dann wären sie beleidigt. Der Fakt, dass seit meiner Ankunft 2005 vielleicht 80% von denen, die damals da waren, das Dorf verlassen haben, spricht für sich. Ich will nicht sagen, dass ich hier so arm gelebt habe, wie die  Leute im Dorf. Dazu fehlte mir der Mut. Aber ich wollte mich nicht so sehr vom Durchschnitt abheben. Steht nicht im Matthäusevangelium „Selig die Armen!“ Habe ich das nicht 1992 bei meiner Priesterweihe als Primizspruch gewählt? Wenn ich ehrlich bin, ist das eigentlich der Grund, warum ich nach Afrika gezogen bin: Ich wollte wissen, ob das stimmt.

Angestellt bin ich als Pfarrer, manche sagen auch noch wie früher „Missionar“. Ich habe nichts dagegen. Denn das wichtigste, was wir zu verkünden haben, ist der Glaube. Der Glaube ist für mich das beste Entwicklungsprojekt. Alles ist da mit drinnen: Vertrauen und Hoffnung, Vertrauen in Gott und Selbstvertrauen, menschliches Wachsen, Ethik und Kraft zum guten Handeln, Spiritualität, die den Menschen offen hält für das große Geheimnis unserer Welt, das sich speziell im anderen findet. Glauben und Vertrauen zu lernen, war eines meiner Hauptanliegen. Glauben angesichts von gesellschaftlicher Unsicherheit, einer Unmenge von magischen Ideen, der Angst vor dem anderen, der ein Hexer sein könnte, und den vielen einfachen Lösungen und Illusionen, die die Sekten anbieten oder vielleicht auch manche Priester.

Afrika, das ist auch eine reiche Kultur an Rhythmen, Formen und Farben. Gerade hier in Solla bin ich auf ein Volk gestoßen, dass für die Bewahrung seiner Tradition berühmt ist. Genauso wie meinen Mozart und Bob Dylan gewann ich auch Itchombi und Halaa, die Feste und Tänze der hier lebenden Völker lieb. In unserer Bibliothek findet man fast alles, was afrikanische Literatur hervorbringt, wenn es nicht gerade „auf unbestimmte Zeit“ ausgeliehen wurde, und auch mein Hang für (naive) Malerei in Pfarrhaus und Kirche. Zur Religion gehört Kultur. Manchmal fühlte ich mich gerade da allein auf weiter Flur, wenn ich jemanden suchte, der mir Märchen oder Weisheiten aus Solla aufschreibt oder bei den kultischen Festen Tonaufnahmen macht. Für mich war klar, dass wir als Christen  den Glauben mit unserer Kultur, mit Leben und Denken verbinden müssen. Aber viele afrikanische Christen sind misstrauisch gegenüber Inkulturation und vorchristlichen Riten. Langsam lernte ich, dass es nicht um Folklore in der Messe geht und dass ich die Frage, was gut und erhaltenswert und was einfach nur magisch und okkult ist, lieber mit meinen togolesischen Freunden und Priestern besprechen sollte.

Togo – ein Land mit einer unvorstellbaren Zahl von Kindern und Jugendlichen und ganz wenigen Menschen, die sich um das Leben und die Entwicklung der Jugend einen Kopf machen. Früher in einem geschlossenen Dorfsystem, war das vielleicht möglich, die Erziehung einfach dem Milieu zu überlassen. Heute in einer Welt mit tausenden neuen Einflüssen und auch in Afrika einer schwindelerregenden Entwicklung ist das gefährlich. Überall gibt es Waisen durch Aids, Malaria und andere Krankheiten, die man in Europa vielleicht in Griff kriegen würde. Aber auch viele Waisen durch Familiendramen oder Arbeitssuche. Immer wieder brachte man uns gestrandete Kinder oder  wir stießen auf Familien, in denen die Kinder sich selbst überlassen waren. Unwillkürlich glitt ich in eine Aufgabe, von welcher ich früher dachte, dass ich ungeeignet bin. Das wichtigste, was man über Erziehung wissen muss, ist, glaube ich, dass sie meistens schief geht. Man darf keinen Plan machen, wie der Junge oder das Mädchen dessen Entwicklung man sich wünscht, später aussehen soll. Hier lernt der Mensch wirklich offen zu sein für den Plan Gottes in jedem Kind und um seine Art, uns zu lieben, wie wir sind, ohne alles gleich gut zu finden.

Die letzten Wochen sind voller Begegnungen: Der Pfarrgemeinderat von Kagningata, die Leute aus Kukadé, der Behindete aus Banwaré, dem wir 2019 geholfen hatten, das Ehepaar aus Tiningou mit 7 Kindern, das ich 2006 getraut habe und das immer noch verheiratet ist, Reine, die im Noviziat in Kara ist, auf dem besten Weg, Ordensschwester zu werden, viele kommen oder schicken Briefe, geben einen Stoß Yamskolben ab oder einen Hahn, um Danke zu sagen. Meistens war ich es gar nicht, der geholfen hat, sondern eine Patenschaft mit Menschen, die sie nie kennenlernen konnten. Meine Botschaft an die Freunde Sollas: Bleibt der Pfarrei treu! Wenigstens die unter euch, die sie kennen. Mein Nachfolger François Tiou hat einige Bauchschmerzen. Nicht nur die sozialen Werke, sondern auch die Pfarrei selbst  verliert mit meinem Weggang erhebliche Unterstützung, denn ich kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen.

Nach der Bekanntgabe meines Wegganges waren wir nicht untätig. Ein Monat war auf jeden Fall nötig, um Dinge zu Ende zu bringen. Zunächst fand das Waa-Fest statt, die Initiation der jungen Männer in Madjatom und Binanoh. Lange hatten wir dafür gearbeitet, dass auch Christen Ken´naa  sein dürfen, die als Initiierte in die höhere Klasse mit den langen Hörnern und dem klappernden Pflugeisen in der Hand ihren lustigen-kriegerischen Tanz aufführen können. Die Weihe gab es natürlich nicht auf dem heiligen Berg, sondern in der Kirche.

Eine Woche darauf lud ich noch einmal Studenten, Abiturienten und Lehrer zur theologischen Schulung ein, an deren Ende ich 18 Bescheinigungen ausstellen konnte. Mein Ziel war es, Bewusstsein zu heben, nochmal klar zu sagen, was mein Gottesbild ist, über afrikanische Glaubensprobleme zu reden und mögliche neue Katecheten zu gewinnen.

Schließlich kam das Taufwochenende. Seit Ostern warten 55 Kandidaten, die wegen COVID19 zurückgestellt wurden. Einige sind inzwischen verlorengegangen und man muss sie in Benin oder Nigeria suchen, wo sie jobben. Für alle anderen wurde es zur großen Freude, an Maria Himmelfahrt getauft zu werden. Auf dem Kuyope-Berg in Solla mussten 5 ältere Frauen bis zu Maria Königin eine Woche später warten. Nächsten Sonntag ist es dann so weit. Viele werden kommen. Ich freue mich über jeden. Ich bitte nicht so viele Lobreden. Es stimmt sowieso nicht alles, was da gesagt wird. Wichtig ist die Stärkung der Gemeinde, dass das weitergeht, was ich an Gutem hier versucht habe. Und mit Gottes Hilfe wird es gelingen.

Gottes Segen allen und noch einmal vielen Dank, für alle Art von Hilfe und Gemeinschaft!

Ronald Kudla

Wenn Sie der Gemeinde in Solla weiter helfen möchten, können Sie spenden:

Ronald Kudla, Steyler Bank
DE 76 3862 1500 0000 0423 58
Verwendungszweck : Solla
oder
Bistum Magdeburg
Darlehenskasse Münster
IBAN DI 18 4006 0265 0000 0182 00
Verwendungszweck: Kudla, Solla

Als weitere Verwendungszwecke können die Herzensprojekte von Pfarrer Kudla angegeben werden : Solidarité – Pfarrei - Soziale Aufgaben – Schwestern – Kindergarten - Waisenhaus

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