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Ich sehe etwas – Die Vision des geistlichen Zentrums in Mühlberg

Schutt, Schutt und nochmals Schutt von abgebrochenen Häusern. Ein Refektorium ohne Dach. Überall hochwachsende Ahornbäume, Berge von Schutt im Innenhof des Klosters, die Tür am Ausgang aus der Klosterkirche kaum zu benützen. Da braucht es schon einen großen Glauben, dass aus dieser Asche Phönix einmal wieder aufersteht.
 
Mühlberg ist am Rande der Provinz, am Rande vom Land Brandenburg, am Rande der Diözese Magdeburg. Mühlberg ist aber auch an der Grenze zu Sachsen und anderen Diözesen. Es kommt darauf an, von wo aus wir es oder uns sehen und ob wir es wagen, den Blick und die Blickrichtung zu verändern. Das Kloster kann weiter ein Meilenstein für die Stadt und die Region werden.

Wieso? Da waren zwei, die hatten eine Vision. Zu diesen Visionären gehörten der erste Bischof von Magdeburg, Leo Nowak, und Pfarrer Hans Rudi Thiersch aus Mühlberg (Elbe) nach der Wiedervereinigung 1989.
Wer eine Vision hat, der sieht etwas. Video heißt nichts anderes als „ich sehe“. Zur Vision braucht es Geduld. Und wer heute nach Mühlberg kommt, merkt schon bald, dass das Kloster ein Magnet ist. Es ist ein Ort, der den Menschen hier im Landkreis Elbe-Elster und darüber hinaus Heimat geben kann, auch geistliche Heimat.
 
Ich erlebe das Kloster als eine hervorragende Chance, den Menschen bei Kirchen- und Klosterführung so nebenbei manche Info über den Glauben zu geben. Wenn ich bei den Kirchenfenstern die tolle Geschichte von zwei Frauen erzähle, die einen super Freund haben, der immer so viel Interessantes erzählt. Doch die eine hat einfach keine Zeit, weil sie noch so viel zu tun hat mit der Bewirtung, und die andere setzt sich gleich gemütlich zu ihm aufs Kanapee. Maria und Marta, viele kennen die beiden gar nicht. Einmal hat mich jemand gefragt, woher ich die wunderbare Geschichte hätte. Und er war erstaunt, dass so was in der Heiligen Schrift steht.

Und ich erinnere mich an eine Schulklasse, in der von 27 Kindern nur zwei getauft waren. Sie kamen fünf Tage zu uns, aber ich sollte in diesen Tagen das Wort „Gott“ nicht verwenden, keine Meditationen machen und auch keine Gehirnwäsche. Die Eltern wollten so etwas nicht. Die Kinder gingen voller Begeisterung und positiver Eindrücke zurück und erzählten den Eltern davon.
Oder wenn evangelische, katholische und nichtgläubige Erwachsene und Kinder hier die Kar- und Ostertage erleben und ganz neu und tief den Sinn des Glaubens erfahren und heimgehen mit der Erfahrung, dass Glaube lebendig und reich macht. Oder unsere Krippenausstellung im Refektorium mit ca. 600 Krippen – in der letzten Weihnachtszeit waren 3500 Besucher da.
 
Die Vision vom Kloster ist:
  • Die Menschen hier in Mühlberg sollen etwas haben, das sie lieben, auf das sie stolz sind, das sie gerne auch ihren Gästen zeigen.
     
  • Das Kloster soll offen sein für Elbradler, Wasserwanderer und Touristen. Wo sollen die denn am Abend im Sommer noch hingehen? Geschäfte, Lokale und Sehenswürdigkeiten sind doch geschlossen. Wir lassen die Anlage offen bis zur einbrechenden Dunkelheit, damit die Menschen am Abend nochmal die Stille erleben können.
     
  • Viele möchten hier im Kloster schlafen, weil sie es sich einmal geben möchten, in einem echten alten Kloster zu schlafen und die Ruhe und den Frieden selbst zu erleben.
     
  • Dass auch wir Arbeitsplätze haben für die Menschen hier. Verbunden mit der Idee, dass unsere Mitarbeitenden hier nicht nur Arbeit haben, sondern sich mit dem Kloster identifizieren, dass es „ihr“ Kloster ist.
     
  • Die Vision vom Idealismus – ohne Idealismus würde auch das Kloster stillstehen. Ein Kloster kann nicht leben von geregelter Arbeitszeit. Sondern es muss Menschen geben, die auch außerhalb der Arbeitszeit noch Ansprechpartner sind. Deshalb ist auch die Ordensgemeinschaft der Claretiner hier und bringt sich ein.
     
  • Satt sein und Hunger haben. Unser Leib ist wohlgenährt und satt und doch gibt es Hunger in unserer Zeit und in unserer Welt und manche merken den Hunger erst, wenn der Appetit angeregt wird. Ich meine den Hunger der Seele. Menschen hören hier Gedanken, die sie im Leben noch nie gehört haben. Sie lassen sich auf Erfahrungen ein, die sie verändern.
 
Die Vision liegt in unserer Verantwortung. Denn wir haben etwas empfangen aus den Händen ganz anderer Generationen – aus Generationen, denen es vom Wohlstand her bestimmt nicht so gut ging wie uns heute. Deshalb meine ich, sollten wir denen „von früher“ beweisen, dass wir fähig sind und Möglichkeiten haben das Kloster zu erhalten, aufzubauen und weiterzugeben.
 
Visionen werden genährt und wachsen durch Erfahrungen. Seit knapp acht Jahren bin ich nun hier im tiefsten Diasporagebiet und ich erlebe Begegnungen und mache Erfahrungen, dazu kann ich nur sagen: "Welch ein Geschenk!"
Es ist in meinen Augen sinnvoll, am Auf- und Ausbau des Klosters weiterzuarbeiten: am weiteren Ausbau von Empfangsräumen, einem Klostercafé mit Klosterladen, dem Integrieren der Klostergärtnerei als Bereich für die Sensibilisierung und an der Aufnahme von Kursen, die die Bewahrung der Schöpfung, die Gerechtigkeit und den Frieden der Welt thematisieren.
 
Damit das Kloster in Zukunft lebt und leben kann, denke ich an eine sog. „Laienklostergemeinschaft“, die mit ihren Ideen, ihren Talenten und ihrer Kreativität weiteren Schwung ins Kloster bringen kann.
 
Davon träume ich nicht! Nein, dieses Video habe ich vor mir! Ich sehe etwas – es wächst. Danke!
 
P. Alois Andelfinger cmf
P. Alois Andelfinger cmf
ist 1956 in Bayerisch-Schwaben geboren. Mit 22 Jahren trat er in den Claretiner-Orden ein und wurde 1983 zum Priester geweiht. 1998 wurde er Superior der Claretiner-Gemeinschaft in Spaichingen und war Leiter des Geistlichen Zentrums auf dem Dreifaltigkeitsberg.
Seit 2013 leitet er das Ökumenische Haus der Begegnung und Stille in Mühlberg (Elbe).
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MOMENT. Pastoral-Magazin aus dem Bistum Magdeburg.

Herausgeber: Fachbereich Pastoral in Kirche und Gesellschaft
im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg
(Ausgabe November 2020)


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Bildnachweise:
Titelbild "Kloster Mühlberg": © Miriam Wehle
;
Bild "Krippenausstellung": © P. Alois Andelfinger
;
Portrait: © privat