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Religionsunterricht an der öffentlichen Schule: Chancen und Grenzen

Mit dem Schuljahr 1992/93 wurde in Sachsen-Anhalt an den öffentlichen Schulen evangelischer und katholischer Religionsunterricht sowie Ethik in einer Fächergruppe eingeführt. ‚Religion‘ hat damit zumindest institutionell einen Platz an der Schule.

‚Religion‘ ist natürlich auch im Ethikunterricht Thema, doch wird sie dort eher unter religionssoziologischen, religionswissenschaftlichen und vielleicht auch religionsphilosophischen Perspektiven betrachtet. Eine intensivere Begegnung mit Bekenntnis und Praxis des Glaubens kann dort jedoch nicht stattfinden – ist der Ethikunterricht doch ein Fach, das allein der Staat verantwortet und daher von bekenntnisbezogenen Perspektiven frei zu sein hat.

Wer aber mit Religion nicht nur im Beobachtungsmodus zu tun bekommen will, sondern Religion tatsächlich als eigene Domäne der Welterschließung und -deutung erfahren möchte, ist im Religionsunterricht, der von den Kirchen und Glaubensgemeinschaften (mit-)verantwortet wird, richtig. Dass ein solcher Unterricht an der öffentlichen Schule eingerichtet ist, ist ein Beleg dafür, dass der Staat sich religiös neutral verhält. Und dies nicht etwa in dem Sinne, dass er Religion in den Privatbereich und damit aus der Schule verbannt, sondern so, dass er seine Neutralität im Sinne einer positiven Religionsfreiheit versteht, die seinen Bürgerinnen und Bürgern erlaubt, Religion auch in der staatlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit sichtbar zu leben. Und zu dieser Öffentlichkeit gehört eben auch die Schule.

Würde man diese Argumentation engführen, wäre ein schulischer Religionsunterricht insbesondere für gläubige Schülerinnen und Schüler da und würde sich letztlich kaum von der Katechese unterscheiden. Eine solche Engführung ist aber weder durch den Lernort ‚Schule‘ noch durch die von den Kirchen unterstützte Intention religiöser Bildung an dieser staatlichen Einrichtung grundgelegt. Vielmehr ist der Religionsunterricht ein Fach, das ausnahmslos allen Schülerinnen und Schülern offensteht, die sich mit Religion und Glaube authentisch auseinandersetzen wollen. Dafür ist seitens der Lernenden der eigene Glaube nicht Bedingung, so dass auch konfessionslose Schülerinnen und Schüler hier lernen können, wenn sie denn eine Innensicht einer bestimmten Ausprägung von Glaube und Religion kennenlernen wollen – und dieses Interesse ist durchaus vorhanden! Ermöglicht wird eine solchermaßen authentische Begegnung mit einer gefüllten Glaubensperspektive und -praxis durch die Lehrkraft im Religionsunterricht und die dort behandelten Inhalte, die einer kirchlichen Rückbindung bedürfen. Aus kirchlicher Perspektive betrachtet ist der Religionsunterricht an der Schule bildungsdiakonisches Handeln an allen Menschen, ob sie nun einer Kirche angehören oder nicht.
Insbesondere für gläubige Schülerinnen und Schüler ist der schulische Religionsunterricht aber auch ein Ort, der ihnen zeigt, dass eine religiöse Weltsicht im Rahmen öffentlicher Diskurse ihren Platz hat. Gerade in einer Gesellschaft, wie sie in Sachsen-Anhalt mit ihrer mehrheitlichen Konfessionslosigkeit besteht, dürfte diese schulische Wertschätzung einer religiösen Weltperspektive nicht zu unterschätzen sein. Der Religionsunterricht ist damit ein Ort der Glaubensreflexion und der Befähigung zur Kommunikation in Sachen Religion und Bekenntnis in der Gesellschaft.

Mit Blick auf konfessionslose Schülerinnen und Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen, erschließt dieses Fach die Bildungs- und Lebensdomäne ‚Religion‘, die sich in kirchlichen Formen konkretisiert. Lernen ‚in‘ Religion, nicht nur ‚über‘ Religion ermöglicht es ihnen, der Tiefenstruktur religiösen Glaubens und religiöser Praxis tatsächlich zu begegnen und im Sinne einer teilnehmenden Beobachtung eigene Erfahrungen damit zu machen. Und das ist mehr als ein noch so guter religionskundlich sensibler Ethik- oder Philosophieunterricht je wird leisten können. Letztlich geht es dabei auch darum, eine nicht-naturwissenschaftliche Weltdeutung, wie sie die religiöse eben ist, als ebenso plausibel und frei von Rationalitätsdefekten zu begründen und damit den häufig vertretenen Monopolanspruch einer szientistischen Weltsicht zu hinterfragen.

Da schulische Zusammenhänge nicht selten dazu neigen, Unterschiede zu homogenieren und Differenzen als störend zu empfinden, hat der Religionsunterricht – gerade im Osten Deutschlands – eine wichtige Aufgabe auch darin, dass er allein schon durch sein institutionelles Vorhandensein an der Schule darauf aufmerksam macht, dass Weltdeutungen in einer freien Gesellschaft notwendigerweise im Plural auftreten und dass dies als Normalfall einzustufen ist. Für viele Schülerinnen und Schüler in Sachsen-Anhalt sind schon die katholische und evangelische Kirche fremde Welten. Verständnis und Toleranz dem Differenten gegenüber können damit an der Schule eingeübt werden, bevor es zu Abstoß- und Ausgrenzungsreaktionen im politischen und gesellschaftlichen Alltag kommt. Das Aushalten von Differenzen und das Hochschätzen von Vielfalt, das heute vielen Zeitgenossen zunehmend schwer fällt, kann so in der Schule, wenn denn dort auch der Religionsunterricht sichtbar ist, grundgelegt werden.

Aufgrund dieser Überlegungen kann die derzeitige Situation des Religionsunterrichts an den Schulen in Sachsen-Anhalt nur ansatzweise befriedigen: Gab es im Schuljahr 2016/17 an 94,4% der allgemeinbildenden Schulen Ethikunterricht, so fand lediglich an 70,8% evangelischer und nur an 5,9% katholischer Religionsunterricht statt.

Das ist schade, sollte aber ein Ansporn sein, hier mit der Unterstützung von Staat, Kirche, Schule und Eltern noch mehr für die Ermöglichung von Religionsunterricht zu unternehmen, um das Bildungsgut ‚Religion‘ am gesellschaftlichen Ort Schule sichtbar zu halten. Als ‚schöpferische Minderheit‘ haben Christinnen und Christen im Land hier durchaus etwas zu bieten. Überlegungen, den Religionsunterricht als konfessionell-kooperatives Fach zu gestalten, bergen hier durchaus Chancen für eine verstärkte Präsenz von Religionsunterricht an der öffentlichen Schule – für einen Unterricht, der allen Schülerinnen und Schülern offen steht und eine Perspektive auf die Welt wachhält, die sich nicht in rein technisch-naturwissenschaftlichen Deutungen erschöpft.

Harald Schwillus
Prof. Dr. Harald Schwillus
ist 1962 in Würzburg geboren. Nach dem Studium der Katholischen Theologie, Altphilologie, Germanistik, Philosophie und Pädagogik absolvierte er das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. Es folgte die Promotion und 2003 die Habilitation in Religionspädagogik. Seit 2005 ist er Professor für Religionspädagogik an der Universität Halle-Wittenberg und derzeit auch Geschäftsführender Direktor des Instituts für Katholische Theologie und ihre Didaktik.
Religionsunterricht im Bistum Magdeburg

Der Religionsunterricht (RU) gehört in vielen Bundesländern zu den sogenannten „res mixtae“, d.h. zu den Angelegenheiten, die im Zusammenwirken von Staat und Kirche geregelt werden.

Im Bundesland Sachsen-Anhalt ist der RU ein ordentliches Unterrichtsfach und ist in organisatorischer und inhaltlicher Hinsicht gleichrangig zu den anderen Fächern zu betrachten. Zugleich hat er den Charakter eines Wahlpflichtfaches. D.h. es  besteht die Wahlmöglichkeit, entweder am Religionsunterricht oder am Ethikunterricht teilzunehmen.
 
Der RU wird immer konfessionell unterrichtet (vgl. GG Art. 7,3), d.h. in der Regel entweder von einer katholischen Religionslehrkraft nach den Lehrplänen für den katholischen RU oder von einer evangelischen Religionslehrkraft nach den entsprechenden Lehrplänen.

Die Entscheidung, an welchem Fach Schülerinnen und Schüler (SuS) teilnehmen, fallen bis zur Vollendung ihres 14. Lebensjahres deren Erziehungsberechtigte, danach die SuS selbst.

Die Einrichtung des Faches an einem konkreten Standort bedarf zuvörderst der Willensbekundung von Eltern, die die Erteilung von RU für ihr Kind wünschen und dies gegenüber der entsprechenden Schulleitung anzeigen.

Für die Teilnahme am RU ist es nicht notwendig, dass SuS konfessionell beheimatet sind. Das führt dazu, dass neben konfessionell vorgeprägten auch bekenntnisfreie SuS am Unterricht teilnehmen.
Da auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt ca. 80 % nicht religiös vorgeprägte Menschen wohnen und sich dieser Prozentsatz auch in der Schülerschaft widerspiegelt, bietet der RU prinzipiell auch eine große Bildungschance für bekenntnisfreie SuS, sich grundlegende religiöse Kompetenzen anzueignen und mit den verfassten Kirchen im Land in Kontakt zu kommen.
 
Zu den Aufgaben des katholischen RU zählen die Vermittlung religiösen Grundwissens über den christlichen Glauben, andere Konfessionen und Weltreligionen sowie das Vertrautmachen mit den Formen des gelebten Glaubens. Die Unterrichtsteilnahme fördert die religiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit der SuS.
 
Derzeit nehmen rund 1.400 SuS an 45 Standorten öffentlicher Schulen im Land Sachsen-Anhalt am katholischen RU teil.

Rund 1.600 SuS nehmen an 8 Standorten von Schulen in kirchlicher Trägerschaft am katholischen RU im Land Sachsen-Anhalt teil.

Hinzu kommen noch 4 weitere Schulstandorte durch Schulen in freier Trägerschaft, an denen katholischer RU im Land erteilt wird, die Teilnahmedaten aber noch nicht erfasst sind.

Da die Landes- und Bistumsgrenzen nicht identisch sind, gibt es auch auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen Lerngruppen im katholischen RU, die von der kirchlichen Schulaufsicht im Bistum Magdeburg betreut werden. An zwei Standorten öffentlicher Schulen und in den Räumlichkeiten zweier Pfarreien nehmen hier rund 75 SuS am katholischen RU teil.

Patricia Erben-Grütz
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MOMENT. Pastoral-Magazin aus dem Bistum Magdeburg.

Herausgeber: Fachbereich Pastoral in Kirche und Gesellschaft
im Bischöflichen Ordinariat Magdeburg
(Ausgabe April 2019)

 
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