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Tag des Herrn

Johanna Marin Foto: imago/Zoonar Nicht nur Sex – jede Form von körperlicher Intimität ist wichtig für die Beziehung. In Gesprächen ist sie oft ein Tabu – in der Bibel hingegen ausführlich beschrieben: die Sexualität. Wieso es sich lohnt, miteinander darüber zu sprechen, verrät Theresia Härtel, Theologin und Sexologin im Erzbistum Berlin. Außerdem erklärt sie, was Kirche und Bibel wirklich dazu sagen – und was eigentlich nicht. Die schönste Sache der Welt, oder doch ein peinliches Thema zum Rotwerden? Die Sexualität des Menschen ist komplex, und während manche sich schwertun, über den Körper oder ihre Sehnsüchte zu reden, werben andere dafür, das Thema offen anzusprechen. Vielleicht nicht mit jedem, aber doch zumindest mit einer vertrauten Person: Das kann die beste Freundin, der Partner, ein Elternteil oder auch ein Sexualberater sein. Manche Menschen wenden sich auch an Seelsorger und Priester, sagt Theresia Härtel, Pastoralreferentin im Erzbistum Berlin. Das hatte sie auf die Idee gebracht, sich selbst in Sexualberatung weiterzubilden. Und wenn das Sprechen darüber schwerfällt? „Es hilft schon mal, sich zu belesen“, rät die Seelsorgerin. Wenn man dann merke, dass die eigenen Probleme und Fragen normal sind, sinke die Hürde, konkret nachzufragen. Sinnlich statt sündhaft: Das Hohelied in der Bibel zeigt, dass die Sehnsucht nach dem anderen menschlich ist – und göttlich. „Zu unserer Sexualität gehört erstmal alles, was mit unserem Geschlecht zu tun hat“, erklärt sie: Fortpflanzung und Lust, aber auch kulturelle Einflüsse, Rollen, die einem je nach Geschlecht zugewiesen würden, oder eben auch die Entscheidung – beispielsweise bei Priestern und Ordensleuten – die eigenen sexuellen Bedürfnisse nicht auszuleben. Dennoch seien auch sie nicht von körperlichen Erfahrungen ausgeschlossen, die die Sinne anregen. „Das ist ja gerade in katholischen Gottesdiensten so schön: durch die verschiedenen Körperhaltungen, den Weihrauch und die Musik werden viele Sinne angesprochen“, so Theresia Härtel. Körperlichkeit wirkt sich also auf viele Lebensbereiche aus. Sexualität zu erklären sei ein bisschen so, wie wenn man versuche, Gott in wenigen Worten zu beschreiben, vergleicht die Theologin. Ob Sexualität und Liebe miteinander zusammenhängen, sei eine Frage der individuellen Einstellung, sagt Theresia Härtel. Die Ehe zum Beispiel sei früher nicht an Liebe geknüpft gewesen – der Sex aber an die Ehe. „Das war eigentlich eine ziemlich clevere Logik“, sagt sie, „die Frau und ihre Nachkommen waren durch die Institution Ehe geschützt.“ Denn so war rechtlich sichergestellt, dass der Versorger – der Ehemann und Vater – seine Familie unterstützte. In der Bibel kommt die Aussage, vor der Ehe solle man keinen Sex haben, nicht wortwörtlich vor. Trotzdem ist das miteinander schlafen, das sogenannte „Erkennen“ des Partners, in biblischen Geschichten dort verortet, wo Mann und Frau in Beziehung zusammenleben. Theresia Härtel betrachtet die Frage nach dem Zeitpunkt und der Verantwortung für den Geschlechtsverkehr als eine Gewissensentscheidung – zu der sie Christen durch ihre Taufe und den heiligen Geist befähigt sieht. Sex in der Ehe – plötzlich schön? Theresia Härtel, Pastoralreferentin und Sexologin im Erzbistum Berlin. Den Begriff der „Keuschheit“, der sich ursprünglich vom lateinischen „conscius“ – „bewusst“ – ableitet, würde die Seelsorgerin gerne ruhen lassen. Mit diesem Wort, das oft mit „sexueller Reinheit“ konnotiert sei, werde vermittelt, dass Sexualität schlecht ist. Das sei auch später in der Ehe hinderlich: „Wenn man ein Leben lang gesagt bekommt, dass Sex etwas Böses ist, aber in der Ehe soll man dann plötzlich Kinder zeugen, dann ist das Bild von Sexualität trotzdem negativ geprägt – und das funktioniert nicht.“ Dabei bezieht Theresia Härtel sich auch auf eine Studie aus den USA von 2024, die christlich geprägte Frauen nach ihrer Haltung zu Sex und ihren sexuellen Erfahrungen befragte. Frauen, die in dem Glauben aufgewachsen waren, dass Sex unrein sei, gaben dort häufiger an, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr zu haben. „Das liegt daran, dass sich die Vagina zusammenzieht – eigentlich ist das eine Schutzfunktion, um den Körper vor ungewolltem Eindringen zu schützen“, weiß Theresia Härtel aus ihrem Studium der Sexologie. Wenn dadurch jedoch Schmerzen beim Verkehr entstehen oder dieser gar nicht möglich ist, spricht man von einer sexuellen Funktionsstörung namens Vaginismus. Eine körperorientierte Sexualberatung kann dabei helfen, so die Seelsorgerin – der gut gemeinte Ratschlag, den Sex nach der Hochzeit doch einfach zu genießen, hingegen nicht. Sich nach dem anderen sehnen Eigentlich werde in der Bibel aber ein positives Bild von Sexualität verbreitet. „Im Hohelied zum Beispiel wird sie als etwas Schönes und Schützenswertes dargestellt“, sagt Theresia Härtel. Und tatsächlich: „Seine Linke liegt unter meinem Kopf, seine Rechte umfängt mich“, ist noch einer der weniger sinnlichen Verse dieses Liedes, in dem die Sehnsucht zwischen Mann und Frau besungen wird. Das Hohelied gilt als Darstellung der Liebe zwischen zwei Eheleuten, aber auch als bildhafte Darstellung der Liebe Gottes zu den Menschen. „Es beinhaltet viele sexuelle Beschreibungen – die werden nur im Sonntagsgottesdienst nicht vorgelesen“, erklärt Theresia Härtel. Mit dem Partner zu schlafen und ihn zu begehren, bedeute, sich dem anderen zu schenken, sagte auch Papst Johannes Paul II. in seinen Katechesen zur „Theologie des Leibes“. Er habe die Sexualität zwischen Mann und Frau ganzheitlich betrachtet: nicht als Verbot oder allein dazu da, um sich fortzupflanzen, sondern als Geben und Nehmen aus Liebe. Er bekräftige in seinen – auf das katholische Ehebild konzentrierten – Auslegungen, dass ein Mensch auf einen anderen Menschen hin geschaffen ist, so die Theologin. Sich nach dem anderen zu sehnen, gehörte für ihn zum Menschsein dazu. „Der Leib kann das Unsichtbare sichtbar machen.“ So beschrieb der Papst, dass sich die emotionale Verbindung zwischen zwei Personen auch durch die körperliche Liebe ausdrückt. Dass Eheleute – auch beim Sex – das Wohl des Partners im Blick behalten sollen, ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sogar im Kirchenrecht (Canon 1055) festgeschrieben. Entwickeln sich mit: Die eigenen sexuellen Bedürfnisse.Foto: shutterstock/CameraCraft Selbst Verantwortung übernehmen Woher aber stammt das schambehaftete Bild, das der Sexualität oft anhaftet? Ein Blick in das Buch Levitikus bietet Antworten: Ein ganzer Katalog an Regeln, wie man sich nach dem Geschlechtsakt zu verhalten habe und mit wem man nicht schlafen dürfe, liegt hier vor. Das Wort „unrein“ wiederholt sich immer wieder. „In der Bibel finden wir außerdem Texte, die kritisieren, wie das Wissen über Sex in der Antike weitergegeben wurde“, erklärt Theresia Härtel, „Nämlich, indem ältere Männer es den Jungen beibrachten – und das ganz konkret im Akt.“ Paulus benenne das in seinen Briefen im Neuen Testament. „Und das ist auch richtig so, heute würden wir das als Missbrauch an Kindern ahnden“, sagt die Theologin. „Diese alten biblischen Traditionen und Aussagen prägen das Bild der Kirche von Sexualität bis heute weiter – teilweise mit einer fast schon gewalthaften Zwangskultur, in der betont wird, dass nur ein einziger Weg richtig sei.“ Dabei sei ihr heute ein anderer Ansatz wichtig, sagt Theresia Härtel: „Im Zweiten Vatikanischen Konzil wird das eigene Gewissen als göttlicher Ankerpunkt beschrieben.“ Das bedeute eben auch, dass Menschen Entscheidungen über ihre Sexualität selbst treffen könnten – allerdings gut informiert und nicht aus einer Laune heraus, betont sie. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie für die Person, mit der sie Sex haben wollen, mit verantwortlich sind. In ihrer Arbeit als Sexualberaterin erlebt sie außerdem, dass Eltern ihren Kindern ungewollt Scham vermitteln, was sich auf die spätere Sexualität auswirken könne. Wenn sie sehen, wie ihre Kinder den eigenen Körper erkunden, und sie dann zum Händewaschen schicken, stecke da keine böse Absicht dahinter, so Theresia Härtel. Dennoch könne das bei den Kindern das Gefühl hervorrufen, dass die eigene Sexualität schmutzig sei, der eigene Körper etwas, wofür man sich schämen muss. Ähnlich sei es auch mit Predigten über Selbstbefriedigung oder mit dem Beichtspiegel, in dem Gläubige gefragt werden, ob sie Pornographie anschauen würden. „Ich will gar nicht sagen, dass man das nicht beichten sollte, wenn es einen belastet“, sagt sie, „aber das Spektrum von Pornos ist sehr groß und es gibt sicherlich Inhalte, die moralisch mehr, weniger oder vielleicht auch gar nicht verwerflich sind.“ Eine sehr alte Frau, berichtet Theresia Härtel, habe ihr mal erzählt, dass sie als Kind die Angst hatte, ihr Bruder könne in die Hölle kommen, wenn er sich selbst befriedigt. „Dabei gibt es inzwischen erste Texte, in denen theologisch argumentiert wird, dass Selbstbefriedigung erlaubt ist, wenn der übertriebene Sexualdrang des Ehemannes die Ehefrau unter Druck setzt. Als Sexologin würde ich sogar sagen, dass die Selbstbefriedigung ein wichtiger Lernraum ist: man könnte vielen sexuellen Problemen in einer Beziehung vorbeugen, wenn man sozusagen übt.“ Über die eigenen Wünsche zu sprechen, hilft Nicht selten entstünden Beziehungsprobleme auch dadurch, dass die Partner die Sexualität vernachlässigen, sagt Theresia Härtel. Als Sexualberaterin habe sie gelernt, dass eine Beziehung auf zwei Säulen steht: Liebe und Sex. „Das meint nicht nur den direkten Geschlechtsverkehr“, lenkt sie ein, „sondern jede Form von körperlicher Intimität.“ Eine Weile könne auch nur eine der beiden Säulen die Beziehung aufrechterhalten, doch um tragfähig zu bleiben, brauche es beide. Die eigene Sexualität sei ein Thema, über das die Partner laut Theresia Härtel auch immer wieder neu sprechen müssen, da sie sich ein Leben lang weiterentwickle. Wenn sich beispielsweise nach einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren die Lust verändere, müsse man gemeinsam neue Wege finden. Als Seelsorgerin wünscht sie sich, dass auch in Ehevorbereitungskursen darüber gesprochen wird – und die Eheleute, gestärkt durch den Heiligen Geist, Verantwortung übernehmen. Die Seelsorger können dabei begleiten und unterstützen. „Manche Menschen wenden sich bei sexuellen Problemen auch hilfesuchend an einen Priester“, berichtet die Seelsorgerin. Dessen Aufgabe sieht sie nicht darin, die passende Antwort parat zu haben; Vielmehr hofft sie, dass Priester diese Personen an die richtigen Stellen weiterverweisen können. Bestenfalls sollten Seelsorger schon im Ehevorbereitungskurs vermitteln, dass die Partner in ihrer Beziehung miteinander über ihre Sexualität sprechen.Foto: imago/Depositphotos „Wir sollen ja so leben, wie Jesus es uns als Vorbild gezeigt hat“, fasst Theresia Härtel zusammen, wie sie auf Kirche und Sexualität blickt, „und die anderen wirklich so annehmen, wie sie geschaffen sind.“ Deshalb wünscht sie sich, dass Menschen lernen, ihre eigenen Schamgrenzen zu hinterfragen, sich mit ihrem Wunsch nach Sexualität auseinanderzusetzen – und mit den Wünschen des Partners verantwortungsvoll umzugehen. „Und wenn man erstmal drüber redet, werden Hürden abgebaut“, sagt sie, „und dann wird ganz vieles leichter.“ Viele Katholiken beschäftigt das Verhältnis ihrer Kirche zur Sexualität
Foto: shuterstock/majopez Der Weg zu einem Neuanfang nach dem Bekanntwerden von sexuellem Missbrauch in der Kirche ist lang. Missbrauch, Schuld, Verantwortung: Die Kirchen ringen mit ihrer Vergangenheit – und mit der Frage, was echte Aufarbeitung bedeutet. Die Pastoraltheologin Sabine Otto sieht in der spirituellen Tradition der katholischen Kirche Potenzial für den langen Weg zu einem glaubwürdigen Neuanfang. Der sexuelle Missbrauch in der Kirche ist eine Realität, die sich nicht abschließen lässt. Weder für die Betroffenen noch für die Kirche als Institution kann es ein einfaches „Vergessen“ oder „Hinter-sich-lassen“ geben. Gleichzeitig wächst in vielen Gemeinden der Wunsch nach einem Neuanfang. Warum aber gelingt dieser nicht? Warum bleiben Misstrauen, Wut und Ohnmacht bestehen? Betroffene werden immer wieder mit der Erwartung konfrontiert, endlich zu vergeben. Doch Vergebung kann nicht eingefordert, nicht verordnet und nicht erzwungen werden. In der christlichen Tradition ist Vergebung ein Geschenk – aber eines, das mit der Forderung nach Umkehr verbunden ist. Der biblische Anspruch ist hoch: „Wenn du also deine Opfergabe zum Altar bringst und dir fällt dort ein, dass jemand dir etwas vorzuwerfen hat, dann lass deine Gabe vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Mitmenschen, dann komm und opfere deine Gabe.“ Damit macht Jesus unmissverständlich deutlich: Die Bitte um Vergebung setzt eine Umkehr voraus. Schuld muss erkannt, bekannt und wiedergutgemacht werden, bevor von Versöhnung gesprochen werden kann. Auch das Sakrament der Versöhnung spiegelt diese Logik wider: Ohne Reue, Bekenntnis, Vorsatz zur Umkehr und Genugtuung gibt es keine Lossprechung. Der Weg, den das Bußsakrament vorgibt, kann Orientierung bieten – und aufzeigen, wie ein Weiterleben in der Kirche nach dem Missbrauch denkbar ist. Gewissenserforschung – Wo war mein Platz in dieser Geschichte? Im Bußsakrament beginnt alles mit der ehrlichen Prüfung des eigenen Gewissens. Wer umkehrt, muss sich fragen: Was habe ich getan – oder unterlassen? In der Debatte um sexuellen Missbrauch in der Kirche richtet sich der Blick oft auf Täter oder auf Verantwortungsträger in hohen Ämtern. Aber was ist mit denen, die weggeschaut haben? Jede Gemeinde, in der Missbrauch geschehen ist, ist ein Ort, an dem Kinder nicht geschützt, Täter nicht gestoppt und Hinweise nicht ernst genommen wurden. Manchmal aus Angst, manchmal aus Bequemlichkeit, oft aus falsch verstandener Loyalität. Bis heute gibt es Gläubige, die überführte Täter verteidigen oder ihnen – trotz erwiesener Schuld – den Status eines „guten Seelsorgers“ zusprechen. Doch eine Kirche, die wirklich aufarbeiten will, muss ehrlich fragen: Welche Haltung in unseren Gemeinden hat dazu beigetragen, dass Missbrauch möglich war? Wer sein Gewissen erforscht, muss sich fragen: Habe ich Unrecht erkannt? Habe ich widersprochen? Habe ich Kindern und Betroffenen geglaubt? Oder habe ich geschwiegen? Umkehr beginnt nicht bei anderen – sie beginnt bei mir. Reue – die Ehrlichkeit, sich der eigenen Schuld zu stellen Wer sein Gewissen ehrlich erforscht, kann der Frage nicht ausweichen: Was bedeutet es, sich schuldig gemacht zu haben? Reue ist mehr als Bedauern oder Betroffenheit über das, was geschehen ist. Sie ist die innere Erschütterung angesichts der eigenen Schuld. Im Bußsakrament ist sie die entscheidende Voraussetzung für jede Bitte um Vergebung – denn nur, wer sich ehrlich seiner Schuld stellt, kann den Weg der Umkehr gehen. In der Aufarbeitung von Missbrauch bleibt diese innere Erschütterung oft aus. Viel wird über Strukturen gesprochen, über systemische Fehler, über kollektives Versagen. Aber Reue ist nicht kollektiv. Sie kann nur persönlich sein. Wer ehrlich umkehrt, sucht nicht nach Entschuldigungen. Er rechtfertigt sich nicht mit Zwängen der Vergangenheit. Und vor allem: Er versteckt sich nicht hinter der Schuld anderer. Es reicht nicht, auf diejenigen zu zeigen, die Täter waren oder Verantwortung trugen. Solange sich jeder nur auf das Versagen anderer konzentriert, bleibt die eigene Umkehr aus. Wer wirklich bereut, fragt nicht: „Wer hätte anders handeln müssen?“, sondern: „Was hätte ich tun müssen – und was werde ich in Zukunft anders tun?“ Bekenntnis – Schuld muss ans Licht Im Bußsakrament folgt auf die Reue das Bekenntnis: Die Schuld muss ausgesprochen werden, damit die Umkehr glaubwürdig ist. Wer um Vergebung bittet, kann sich nicht ins Ungefähre flüchten. Er muss klar bekennen, was er getan oder unterlassen hat. Genau an dieser Stelle stockt die Aufarbeitung in der Kirche. Vieles bleibt verborgen, vieles wird nur auf äußeren Druck hin benannt. Transparenz wird versprochen – und doch fehlt oft das klare Wort, das das ganze Ausmaß der Schuld offenlegt. Zu viele bleiben vage oder verlieren sich in Allgemeinplätzen. Doch eine Schuld, die nicht bekannt wird, bleibt wirksam. Bekenntnis ist nicht nur eine Pflicht der Täter. Es betrifft auch jene, die weggesehen haben, die Zweifel verdrängten, die Täter verteidigten oder Betroffene zum Schweigen brachten. Gemeinden, die sich ehrlich fragen: „Was ist bei uns geschehen?“, übernehmen Verantwortung. Gemeinden, die schweigen, tun es nicht. Ehrliches Bekenntnis bedeutet, Schuld beim Namen zu nennen – nicht als Pflichtübung, sondern um Gerechtigkeit zu ermöglichen. Nur dort, wo Wahrheit ausgesprochen wird, kann Heilung beginnen. Der feste Vorsatz – Umkehr verlangt Veränderung Ohne den festen Vorsatz zur Veränderung bleibt jedes Bekenntnis leer. Wer ehrlich umkehrt, nimmt sich vor, das begangene Unrecht nicht zu wiederholen. Im Bußsakrament ist dieser Vorsatz unverzichtbar – denn ohne den Willen zur Besserung verkommt Vergebung zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Wie kann dieser Vorsatz konkret aussehen? Es reicht nicht, Missbrauch als „Versagen des Systems“ zu beklagen. Schuld hatte konkrete Ursachen: Missbrauch wurde begünstigt durch Machtstrukturen, durch fehlende Kontrolle, durch eine Kultur des Schweigens und der Verharmlosung. Wer aufrichtig umkehrt, muss diese Bedingungen ändern. Doch Veränderung ist nicht nur eine Aufgabe der Institution. Sie beginnt in den Gemeinden, in jedem Einzelnen. Es geht um den Vorsatz, genau hinzusehen. Den Vorsatz, Kindern zu glauben. Den Vorsatz, mutig zu widersprechen. Es geht darum, nicht mehr zu schweigen. Wirkliche Umkehr zeigt sich nicht in Worten, sondern in Taten. Nur wo aus Reue eine Veränderung erwächst, kann neues Vertrauen entstehen. Buße und Wiedergutmachung – nicht der Täter bestimmt, was genug ist Reue allein genügt nicht. Wer Schuld auf sich geladen hat, muss für das Unrecht einstehen. Im Bußsakrament bedeutet das: Buße ist keine Verhandlungssache. Sie wird nicht vom Schuldigen selbst bestimmt, sondern von dem, dem Unrecht geschehen ist. Erst wenn das Opfer sagt: „Das genügt“, ist die Sühne vollbracht. Genau hier liegt eine der tiefsten Verfehlungen der kirchlichen Aufarbeitung. Allzu oft wurden Wiedergutmachungsmaßnahmen festgelegt, ohne die Betroffenen selbst wirklich einzubeziehen. Entschädigungszahlungen wurden nach internen Kriterien festgelegt, symbolische Gesten als ausreichend erklärt. Doch Wiedergutmachung kann nicht von oben verordnet werden. Sie muss an den Maßstäben derer gemessen werden, die verletzt wurden. Buße bedeutet, die Entscheidung darüber nicht selbst in der Hand zu haben. Buße bedeutet, sich den Forderungen derer zu stellen, die Unrecht erlitten haben. Sie bedeutet auch, Konsequenzen zu tragen – nicht nur finanziell, sondern persönlich und institutionell. Gerechtigkeit beginnt nicht mit dem Täter, sondern mit denen, die Unrecht erlitten haben. Ein Neuanfang braucht Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Demut Die Kirche kennt die Voraussetzungen von Vergebung. Solange Schuld nicht klar bekannt, bereut und wiedergutgemacht wird, kann es keinen Neuanfang geben. Schuld kann nicht mit Schweigen, nicht mit schnellen Versöhnungsgesten und nicht mit dem Verweis auf die Vergangenheit aus der Welt geschafft werden. Selbst wenn Reue aufrichtig ist, selbst wenn Wiedergutmachung versucht wird – Vergebung bleibt ein Geschenk. Niemand hat ein Recht darauf. Der erlittene Missbrauch kann nicht „wieder gut gemacht“ werden. Die Betroffenen tragen die Folgen ein Leben lang. Möglicherweise ist es deshalb die Aufgabe der Kirche und ihrer Gläubigen, sich dauerhaft um Linderung des Leids zu bemühen – nicht, um Vergebung zu erlangen, sondern weil es das einzig Richtige ist. Wer Aufarbeitung ernst meint, muss sich den eigenen Maßstäben stellen. Es reicht nicht, sich allgemein „bessere Strukturen“ zu wünschen. Es braucht eine ehrliche Umkehr, die sich in Reue, Veränderung, Bekenntnis, Wiedergutmachung und einer demütigen Vergebungsbitte zeigt. Auch die Gemeinden stehen vor der Frage, wie sie mit dieser Vergangenheit umgehen. Was wäre, wenn wir wirklich hinsehen? Wenn wir Betroffenen zuhören und das Schweigen brechen? Was für eine Kirche könnte dann entstehen? Wenn im Dialog mit den Betroffenen Wahrheit gesagt, Schuld anerkannt und Gerechtigkeit gesucht wird, gibt es vielleicht eine Chance – nicht auf eine schnelle Versöhnung, aber auf einen ehrlichen Neuanfang. Neuanfang nach sexuellem Missbrauch in der Kirche
Tomas Gärtner Foto: imago/Panthermedia Suizide lassen sich verhindern. Wie, erörterten Experten auf dem „Sachsensofa“ in Arnsdorf. Dabei wurde auch klar, dass die Prävention nicht nur auf den Schultern von Ehrenamtlichen lasten kann. Mehr als 10 000 Menschen nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben. Mit 17,2 Selbsttötungen pro 100 000 Einwohner hat Sachsen statistischen Angaben von 2022 zufolge bundesweit die höchste Suizidrate. „Man kann nicht alle verhindern“, sagte Ute Lewitzka auf dem „Sachsensofa“ in Arnsdorf. „Aber doch sehr viele“, betonte die erste Suizidologie-Professorin Deutschlands. Außerdem gab sie zu bedenken, dass noch weit mehr Menschen versuchten, sich umzubringen. Mindestens zehn- bis zwanzigmal so viele, besagen Studien. Neuere sprechen sogar von einer bis zu 50-fachen Anzahl. Als wirksamster Weg, Menschen davon abzubringen, habe sich erwiesen, ihnen den Zugang zu der von ihnen gewählten Methode zu erschweren. Bei der häufigsten Suizidmethode, dem Erhängen, sei das zwar nicht machbar. Anders sieht es oft aus, wenn Menschen sich auf Schienen legen oder von Brücken springen. Schwerpunktstellen könne man dagegen absichern. Bei Medikamenten ließen sich die Packungen verkleinern. Lars Rohwer, sächsischer CDU-Bundestagsabgeordneter, hält ein Gesetz zur Suizidprävention für dringend erforderlich – und zwar noch vor dem Gesetz zum assistierten Suizid. Regeln könne das beispielsweise professionelle, hauptamtliche Unterstützung für Vereine. „Wir haben uns bisher auf dem Ehrenamt ausgeruht. Das ist unverantwortlich, auch weil die Finanzierung dieser Projekte oft nicht klar ist.“ Ein Gesetz könne beispielsweise institutionelle Förderung festschreiben. Aber auch wissenschaftliche Forschung sollte gesetzlich verankert werden. Das setzt die Möglichkeit voraus, Erkenntnisse überhaupt erfassen zu dürfen – zum Beispiel, wenn Rettungssanitäter einen Suizidversuch vorfinden. „Ohne Daten und Fakten ist keine wirksame Prävention möglich.“ Derzeit meldeten sich Menschen, die erwägen, sich umzubringen, bisweilen bei der Telefonseelsorge, so Lars Rohwer. Sprächen sie zufällig mit einem, der in dieser Situation richtig reagiere, sei das nur ein Glücksfall. „Deswegen wollen wir eine einheitliche Telefonnummer für Leute mit Suizidgedanken, wo am anderen Ende jemand sitzt, der damit umgehen kann.“ Besonders gefährdet sind Menschen mit Depression. Für sie hat Brigitte Mothes im vogtländischen Auerbach 2016 eine Selbsthilfegruppe gegründet. Mittlerweile gibt es fünf. Halt böten sie vor allem Menschen, die nach mehrwöchiger Therapie entlassen werden. „In deren Familien gibt es dafür kaum Verständnis. Wenn einer von sich jedoch in so einer Gruppe erzählt, verstehen die anderen Betroffenen ihn sofort.“ Brigitte Mothes litt selbst an Depression. „Mit den Aufgaben in der Selbsthilfegruppe bin ich gesundet“, berichtete sie. „Ich hatte das Gefühl, gebraucht zu werden, und habe Anerkennung bekommen.“ Auch an Schulen geht ihre Selbsthilfegruppe. „In Vorträgen informieren wir zum Beispiel darüber: Wie erkenne ich, wenn es jemandem nicht gut geht? Was kann ich da tun?“ Online kümmern sich junge Ehrenamtliche bei „U25“, einem Projekt der Caritas (www.u25.de), um jüngere Selbstmordgefährdete. Abschließend ermunterten Lars Rohwer und Ute Lewitzka, auch im Alltag offen mit Menschen zu reden, die bedrückt seien. Sachsensofa zum Thema Suizid
Michael Burkner Fotos: Michael Burkner Vor knapp 700 Jahren wird das beschauliche Städtchen Ziesar zur Residenz der Brandenburger Bischöfe und die Burg repräsentativ ausgebaut. Viele Relikte aus der großen Zeit des kleinen Ortes sind bis heute erhalten und machen den Burgbesuch zu einer lohnenswerten Reise ins Spätmittelalter. Zwei mittelalterliche Fußbodenheizungen, ein Gefängnisraum mit Inschriften der Gefangenen und Wandmalereien – in Ziesar ist die Burg selbst das Hauptexponat. Besonders außergewöhnlich: die Palästinakarte. Das großflächige Wandgemälde ist nur noch in Fragmenten erhalten, Licht- und Klangeffekte bringen diese den Besuchern näher und nehmen sie mit, auf eine Zeitreise: Bischöflich-repräsentativ: Die Burgkapelle von Ziesar ist mit sogenanntem illusionistischem Maßwerk ausgestaltet – ganz nach den modernsten technischen und künstlerischen Möglichkeiten des Spätmittelalters. Wir schreiben das Jahr 1335. Im Städtchen Ziesar wird fleißig gebaut. Bischof Ludwig von Neindorf ist Fürstbischof von Brandenburg. Er wählt die Burg Ziesar, strategisch in der Mitte zwischen den Städten Brandenburg und Magdeburg gelegen, zur bischöflichen Residenz und lässt sie nach seinen Vorstellungen ausbauen. Sein langer Aufenthalt im südfranzösischen Avignon schlägt sich dabei in der Architektur nieder und provenzalisches Mittelalterflair zieht in Brandenburg ein. In Frankreich werden ihm auch Pläne über erneute Kreuzzüge ins Heilige Land bekannt – vielleicht ist die Palästinakarte in Ziesar davon inspiriert. Sicher ist, dass die Burg bis zur Reformation Residenz der Bischöfe bleibt, und damit ein wichtiges geistliches Zentrum. Dabei ist die Region Brandenburg eigentlich ein christlicher Spätstarter. Lange von heidnischen Slawen kontrolliert, etabliert sich hier erst im zwölften Jahrhundert das Christentum dauerhaft. Die Burg Ziesar wird Neben- und später Hauptresidenz der Bischöfe von Brandenburg. 1470 stehen erneute Umbauten an, nach modernsten technischen und ästhetischen Vorstellungen: Eine ungewöhnlich große Kapelle mit repräsentativer Backsteinfassade entsteht, der Wohnbereich bekommt eine spätmittelalterliche Fußbodenheizung, die Räume werden fortan von großen gotischen Fenstern erhellt. Nach der Reformation verliert Ziesar jegliche Bedeutung und verfällt zunehmend. 1819 kommen die Gebäude in Privatbesitz und werden nach dem zweiten Weltkrieg als Flüchtlingsunterkunft und Internat genutzt. Doch bedeutende Relikte aus den glorreichen Jahren des Spätmittelalters können die Zeit überdauern und heute im Burgmuseum bewundert werden. Eine Dauerausstellung des Museums beleuchtet die Christianisierung der Slawen und die Geschichte der Fürstbischöfe von Brandenburg. Im Erdgeschoss werden Gemälde des impressionistischen Landschaftsmalers Otto Altenkirch präsentiert, wohl der berühmteste Sohn der Stadt. Die Burgkapelle St. Peter und Paul ist seit 1952 das Gotteshaus der katholischen Gemeinde – Ziesar gehört heute zur Pfarrei Sankt Marien Genthin – und mit mittelalterlichen Malereien ausgeschmückt, das Gewölbe ziert ein illusionistisches Maßwerk beeindruckender künstlerischer Qualität. Durch glückliche Umstände ist die Gestaltung gut erhalten: Seit Ende des 17. Jahrhunderts nutzten Calvinisten die Kirche und übermalten ihre Wände mit weißer Farbe. So wurden die ursprünglichen Malereien über die Jahrhunderte konserviert und erzählen noch heute von einer Zeit, in der Bischöfe in Ziesar beteten und residierten. Reise ins Spätmittelalter
Pater Josef kleine Bornhorst In meiner norddeutschen Heimat, in Rieste-Lage, hängt ein großes schweres Kreuz in der Kirche. Immer wieder kommen Gruppen mit ihren Gebetsanliegen an diesen Ort. Oft geht es in den Gebeten um einen Schwerkranken oder Sterbenden. Pater Josef kleine BornhorstDominikanerkloster Leipzig Die Gruppen tragen das Kreuz aus der Kirche, gehen um die Kirche und beten dabei den Schmerzhaften Rosenkranz. Sie sind Jesus und den Kranken bei diesem Kreuztragen nahe. Menschen sind also auch heute bereit, mitzutragen, mitzuhelfen, wenn Menschen unter der Last ihres Kreuzes leiden oder zusammenbrechen. Sie helfen und sind wie Simon von Cyrene, der Jesus half, sein Kreuz zu tragen. Die Fastenzeit ist auch eine Besinnungszeit, in der ich mich in Frage stelle: Wie verhalte ich mich? Schaue ich zu, wie die Gaffer am Wegesrand oder packe ich an und helfe mit, wo ich helfen kann, wie Simon von Cyrene, nach der Devise, einer trage des anderen Last? Wenn ich die Augen aufmache und hinschaue, bemerke ich in meiner Nähe, in der Familie, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in der Gemeinde Menschen, ganz konkrete Menschen, die ihr Kreuz tragen müssen oder unter der Last leiden und zusammenbrechen. So sehe ich bei meinen Besuchen im Altenheim viel Leid, sehe sterbenskranke und gebrechliche Menschen, deren Krankheiten ein echtes Kreuz sind – auch für die Angehörigen. Auch hier handelt das Pflegepersonal wie Simon von Cyrene: Sie helfen, das Kreuz zu tragen, damit es für den Betroffenen und den Angehörigen erträglicher wird. Dieses Mittragen, dieses Kreuztragen ist ein Liebesdienst der Diakonie und der Caritas, ist Gottes- und Nächstenliebe. Anstoß 07/2025
Dorothee Wanzek Foto: imago/epd „Restorative Justice“ ist ein Konzept, das – angepasst an die jeweilige Lebenskultur – unter anderem nach dem Völkermord von Ruanda Anwendung fand. Wie hier in Rugurame im Süden des Landes finden regelmäßig psychologisch begleitete Treffen zwischen Hutus und Tutsis, Überlebenden und Tätern statt. Hier berichtet eine Frau, dass der Mann neben ihr ihren Ehemann getötet, ihre Felder und ihr Haus zerstört hat. Heute hilft er ihr beim Wassertragen und bei der Arbeit. Die (Erz-)Bistümer Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz geben eine sozialwissenschaftliche Missbrauchsstudie in Auftrag. Unter anderem soll darin untersucht werden, wie Gemeinden sich ihrer Vergangenheit stellen können. Nach wiederholtem Drängen des Betroffenenbeirats geben drei ostdeutsche Bistümer eine gemeinsame Missbrauchsstudie in Auftrag. Bis Mitte Mai können Forscherteams sich für die auf drei Jahre angelegte Studie bewerben. Sie soll die Erkenntnisse der MHG-Studie aus dem Jahr 2018 ergänzen, die deutschlandweit Häufigkeit und begünstigende Strukturen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker untersucht hatte. Darüber hinaus sollen Wissenschaftler fachübergreifend erkunden, von welchen Faktoren gelingende Aufarbeitung abhängt. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz hatte die MHG-Studie sich in ihrer Untersuchung auf Missbrauchstaten beschränkt, die an Minderjährigen verübt wurden. In einer Reihe von Bistümern, darunter Dresden-Meißen und Görlitz, erfasste sie nur Fälle nach dem Jahr 2000. Nicht berücksichtigt wurden zudem Täter ohne Priester- oder Diakonenweihe. Für das Erzbistum Berlin gab es 2021 ein Gutachten, das über die MHG-Studie hinausgehend auch den Umgang kirchlich Verantwortlicher mit angezeigten Fällen dokumentierte. Die neue Studie soll auf bisherige Forschungsergebnisse aufbauen und für die beteiligten Bistümer alle Missbrauchstaten erfassen, die ab 1946 im Verantwortungsbereich der Kirche angezeigt wurden. Zum Auftrag gehört auch, das Erfasste historisch, theologisch, soziologisch und juristisch zu bewerten und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, angelehnt an Leitfragen des „Restorative-Justice-Konzeptes“ (Wiederherstellende Gerechtigkeit). Dieses Konzept hat sich – unterschiedlich ausgeprägt – weltweit in Krisen bewährt. Es beförderte unter anderem Versöhnungsprozesse nach dem Völkermord in Ruanda und dem Apartheid-Regime in Südafrika. Es liegt auch dem im deutschen Recht etablierten Täter-Opfer-Ausgleich zugrunde. Daran anknüpfend soll die Studie zum Beispiel erkunden, was Bistümer tun müssten, damit Betroffene das Erlebte bewältigen können und handlungsfähig werden, damit Täter Verantwortung übernehmen und Gemeinden sich ihrer Vergangenheit stellen und Lehren für die Zukunft ziehen. Einigung konnte zwar über das Konzept der Studie erzielt werden, nicht aber über die Art der Ausschreibung, bei der Betroffene sich übergangen fühlen. „Da die Studie nicht als unabhängige Studie ausgeschrieben ist und Rückfragen mit dem Persönlichen Referenten des Erzbischofs geklärt werden sollen, halten wir eine Beteiligung an der Forschung für die Studie nicht für verantwortbar und raten im Interesse der Sicherheit Betroffener davon ab", sagt Michael Köst, Betroffenenvertreter und Koordinator der Arbeitsgruppe Studie, die das Konzept erarbeitete. Er kritisiert zudem eine „dramatische Unterfinanzierung“ der Studie: „Der Erzbischof hat uns mitgeteilt, dass dafür höchstens 500 000 Euro bereitgestellt werden. Für dieses Konzept reicht das nicht.“ Drei Ostbistümer beauftragen Missbrauchsstudie
Dorothee Wanzek Foto: Privat Johannes Meier hat Erinnerungen an seine Treffen mit Reinhold Pfafferodt (im Bild auf einemMotorroller Berlin) im Fotoalbum festgehalten. Theologiestudenten erfuhren in der DDR-Zeit viel Hilfe aus dem Westen. Auch die Unterstützer profitierten von den Kontakten und manchmal wuchsen daraus Freundschaften fürs Leben. Wenn der Kölner Generalvikar Guido Assmann und der Leipziger Pfarrer Christoph Baumgarten aus der DDR-Zeit erzählen, dann blitzt ein wenig jugendliche Abenteuerlust aus den Augen der inzwischen Über-60-Jährigen. Assmann, damals Theologiestudent in Bonn, erinnert sich, wie er versuchte, der Willkür der Kontrolleure zu trotzen und dem Erfurter Studienkollegen Fachbücher zu schicken. Einen Lexikonband hatte ihm die Postkontrolle der DDR bereits mehrfach wieder zurückgesandt. Erfolg hatte er schließlich, als er das druckfrische Buch mit einigen Bleistiftanmerkungen, Lesezeichen und Eselsohren versah und es Baumgarten bei einem Treffen in Ostberlin persönlich übergab. Den Grenzkontrolleuren machte er weis, er lerne damit gerade für eine bevorstehende Prüfung. Auf dem Rückweg fiel ihm ein Stein vom Herzen, als ihn niemand nach dem Verbleib dieses Buches fragte.  Christoph Baumgarten berichtet von einem Besuch beider Studenten im Berliner Theatercafé. Dass der redselige Mann, der in dem halb leeren Café ausgerechnet an ihrem Tisch platziert wurde, zur Stasi gehörte, schien ihm sonnenklar – dem weniger DDR-erfahrenen Guido Assmann zunächst offenbar aber nicht. Es dauerte eine Weile, bis der Freund die bemüht unauffälligen Blicke bemerkte, mit denen Baumgarten ihn zu warnen versuchte – eine angespannte Situation, über die heute beide herzlich lachen. Kennengelernt hatten sie sich 1984. Vier Erfurter Studienanfänger trafen damals in der Wohnung des Ostberliner Pfarrers Johannes Ziesinski auf vier Bonner Seminaristen, die von Westberlin aus mit einem Tagesvisum in den Ostteil der Stadt gereist waren. „Wir saßen zufällig nebeneinander – damit war unsere Partnerschaft besiegelt“, sagt Guido Assmann. Scherzhaft habe man damals von „Theologen-Hochzeit“ gesprochen, die Bonner redeten untereinander von ihrem „Ost-Paul“, sie selbst waren die „West-Theos“ (für West-Theologen). Ein Ziel dieser vom Erfurter Priesterseminar mit dem Erzbistum Köln und anderen westdeutschen Bistümern eingefädelten Theologenpartnerschaft war es, eine Struktur für die materielle Unterstützung der Ost-Studenten zu schaffen – sofern unter DDR-Verhältnissen überhaupt möglich. „Heute können sich viele kaum mehr vorstellen, dass wir uns damals als Kirche in einem Graubereich bewegten und manches auf andere Weise organisieren mussten als in einem Rechtsstaat üblich“, sagt Prälat Hellmut Puschmann. Das Bildungsheim des Bischöflichen Stuhls in der Berliner Pappelallee, das er einige Jahre lang leitete, war nach dem Mauerbau Schauplatz vieler Begegnungen zwischen Katholiken aus Ost und West, auch international. Mit Anspannung erwarteten Besucher aus dem Westen stets die Grenzkontrollen.Foto: imago/Rust Seit 1973 stellte das Bonifatiuswerk jährlich 200 D-Mark für jeden Theologiestudenten in der DDR zur Verfügung, vor allem für theologische Literatur. Aufgabe der West-Partner war es, Bücher und anderes, was die jungen Männer dringend brauchten, zu den Adressaten zu bringen. Wenn angehende Priester Westverwandtschaft hatten, gaben sie häufig statt eines Partner-Theologen einen Angehörigen als Kontaktperson für das Bonifatiuswerk an. Wichtiger als die Sachspenden war es vielen Studenten in Ost und West aber, sich persönlich mit Christen im anderen Teil Deutschlands auszutauschen.  Bei Guido Assmann und Christoph Baumgarten ist daraus eine Freundschaft gewachsen, die sie bis heute pflegen. Ihre Begegnungen fanden entweder in Berlin oder in Leipzig statt. Während andere „Theos“ und „Pauls“ häufig die Leipziger Messe für Begegnungen nutzten, wählten die beiden die familiäre Schiene. Dafür musste Familie Baumgarten in Leipzig dem Gast jedesmal eine Einladung schicken. Die Genehmigung sei oft erst am Tag vor der geplanten Abreise gekommen, erinnert sich der Kölner Generalvikar. Neben den vom Erfurter Priesterseminar vermittelten Partnerschaften gab es andere Wege, Theologiestudenten über die innerdeutsche Grenze hinweg in Kontakt zu bringen. Elmar Busse, gebürtiger Heiligenstädter, kam in den 1970er Jahren über die Schönstatt-Bewegung mit West-Kommilitonen in Kontakt. Auch er hat manche Anekdoten zur Übergabe von Bücherspenden in petto. Einmal im Jahr wechselte auf der Transitstrecke zwischen Hermsdorfer Kreuz und Jena ein Paket den Besitzer. „Zwei, drei Tage vorher verabredeten wir uns am Telefon mit dem Geheimcode ‚Tante Erna ist gestorben‘“, berichtet der Priester. An der Raststätte Hermsdorfer Kreuz seien dann ein Ost- und ein Westauto zu nächtlicher Stunde zusammengetroffen, jeweils mit zwei Studenten besetzt. Man wechselte kein Wort miteinander. „Die Fenster beider Fahrzeuge waren geöffnet. Ich kniete hinten auf dem Bodenblech und nahm während des Überholvorgangs bei 80 Stundenkilometern das Paket entgegen.“ „In der Kirche wurde Einheit gelebt“ Der nahe Paderborn aufgewachsene Kirchenhistoriker Professor Johannes Meier hat den Eindruck, dass manche Schilderungen die Gefahrenlage, der die Partnertheologen ausgesetzt waren, ein wenig übertreiben. Dabei erinnert auch er sich aus seiner 1971 angebahnten Partnerschaft mit dem kürzlich in den Ruhestand verabschiedeten Magdeburger Dompropst Reinhold Pfafferodt an eine gewisse Anspannung bei Grenzkontrollen und auch er war mitunter kreativ, um Bücher an den Mann zu bringen. Einmal schickte er ein Paket, das bereits aus der DDR zu ihm zurückgekehrt war, zu Freunden nach Polen. Pfafferodt holte die Bücher dort ab und legte sich auf der Rückfahrt im Schlafwagenabteil für alle Fälle darauf, um sie vor Kontrolleuren zu verbergen. Johannes Meier zufolge liefen Grenzübertritte sehr unterschiedlich ab. Er erlebte auch freundliche Grenzbeamte, so wie die Volkspolizistin, die ihn alle Schallplatten und Texte ausbreiten ließ, die er im Gepäck hatte – zu seiner Überraschung durfte er alles wieder einpacken und mitnehmen. Die Postzensur machte den Versand theologischer Literatur in die DDR zum Glücksspiel.Foto: imago/Paul Zinken Bei Elmar Busse lösten seine Schmuggel-Abenteuer ein kleines Triumphgefühl aus, sagt er: „Offensichtlich war die Stasi doch nicht so allwissend, wie es oft den Anschein hatte.“ Vor allem stärkten sie ihn in seinem Glauben. Zu erleben, dass die Kirche Grenzen überwindet, sei für ihn sehr wichtig gewesen, betont der Priester. „Als ich studierte, hatten die meisten Politiker das Ziel einer deutschen Einheit längst aufgegeben oder führten sie allenfalls in Sonntagsreden im Mund. In der Kirche wurde Einheit gelebt“, sagt er. Johannes Meier und Reinhold Pfafferodt verdanken ihre Bekanntschaft dem heißen Draht, der grenzübergreifende Diözesen verband, besonders stark zwischen dem Paderborner Mutterbistum und der Apostolischen Administratur Magdeburg. Da Familienbande die Genehmigungen für grenzübergreifenden Kontakt erleichterten, verständigten sich die beiden nach ihrer „Theologen-Hochzeit“ 1971 auf eine Verwandtschaft über ihre Großmütter. „Zum Glück hat das nie jemand überprüft“, sagt Johannes Meier mit einem Schmunzeln.  Beide Theologen empfinden ihre bis heute lebendige Freundschaft nicht nur menschlich, sondern auch beruflich als Bereicherung. Johannes Meier lernte dadurch eine für die alte Kirchengeschichte äußerst bedeutsame Region kennen, besuchte Orte wie die Wartburg und das ehemalige Kloster Hamersleben und fand hier Anknüpfungspunkte für spätere Forschungen, etwa für seine Habilitation über die Straße der Romanik in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Reinold Pfafferodt hat über Johannes Meier einen westdeutschen Freundeskreis gefunden, über den unter anderem das „Waldhaus Dubro“ entstand, ein christliches Selbstversorger-Gruppenhaus in der Niederlausitz. „Mit seinen Lateinamerika-Kontakten weitete Johannes Meier meinen Horizont auf die Weltkirche hin“, sagt der Magdeburger Ruhestandspriester. Nach 1989 nutzte er die neue Reisefreiheit für eigene Erkundungen im Süden Amerikas. Unter dem Titel „Zwischen Resignation und Hoffnung“ veröffentlichte er 1992 mit Johannes Meier und Willi Kraning im Leipziger St. Benno Verlag ein Buch über dortige Christen. Etwas von der Anteilnahme und Unterstützung, die er in der DDR erfahren hatte, möchte Reinhold Pfafferodt ihnen weitergeben. Unter anderem hat er einem jungen Brasilianer den Weg für ein Studium in Magdeburg geebnet. Christoph Baumgarten (links) und Guido Assmann als Theologiestudenten in Ostberlin.Foto: Privat Auch die Theologenpartnerschaft von Christoph Baumgarten und Guido Assmann wirkt sich weiter aus. Zu gegenseitigen Besuchen nehmen sie seit 1989 oft Jugendgruppen mit. „Christen kennenzulernen, die in ganz anderen Gemeindesituationen leben als sie selbst, ist wertvoll für junge Leute“, sagt Christoph Baumgarten. „Wir haben als Seelsorger viel aus den Begegnungen geschöpft“, ergänzt Guido Assmann. Theologenpartnerschaften über die innerdeutsche Grenze hinweg
Michael Burkner Wie Kinder auf der Website religionen-entdecken.de Antworten auf ihre dringenden Fragen bekommen und warum auch Erwachsene mehr Fragen zu anderen Religionen stellen sollten. Wer Kinder hat oder mit ihnen arbeitet, der weiß: Kinder stellen Fragen. Viele Fragen. Und manchmal Fragen, die man als Vater, Oma oder Lehrerin gar nicht so genau beantworten kann. Meistens, weil man sie sich selbst noch nie gefragt hat. Manchmal, weil man denkt, schon eine Antwort zu haben, die aber ausgesprochen plötzlich gar keinen Sinn mehr ergibt. Aber Kinder suchen Antworten auf ihre Fragen und fragen dann halt wen anders. Vor 13 Jahren thematisierte die Journalistin Jane Baer-Krause auf der Kinderseite einer Apothekenzeitschrift Religionen und wurde im Anschluss von Nachfragen nur so erschlagen. Sie erkannte eine Lücke im Bildungsangebot für Kinder und startete mit ihrer Kollegin Barbara Wolf-Krause die Website religionen-entdecken.de. Ehrenamtlich. Aus der Erkenntnis heraus, dass Kinderfragen nicht unbeantwortet bleiben dürfen. 2020 übernahm das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) die Seite, die für acht- bis 13-Jährige ausgelegt ist, heute ist Moritz Vogel verantwortlicher Redakteur. „Wir arbeiten von der Intention der Kinder aus. Wir beantworten nur, was Kinder uns fragen“, erklärt er. Etwa 100 Fragen gehen wöchentlich in der Redaktion ein, die meisten werden von einem ehrenamtlichen Expertenteam beantwortet. Angelica Hilsebein legt auch Erwachsenen den Blick über die eigene Religionsgemeinschaft hinaus nahe. „Baut keine Wagenburg-Mentalität auf. Schottet euch nicht ab, sondern versucht, in Zukunft verbündet mit anderen Religionen eine Stimme in der Gesellschaft zu sein. Damit die Frage nach Gott nicht verschwindet“, empfiehlt die Referentin für interreligiösen Dialog im Erzbistum Berlin. In der Hauptstadt leben Mitglieder von etwa 250 Religionsgemeinschaften, spätestens seit den Kriegen im Nahen Osten beobachtet Hilsebein verhärtete Fronten, besonders zwischen den Weltreligionen. Auf persönliche Begegnungen und Austausch statt auf Vorurteile und vorgefertigte Meinungen zu setzen – das seien erste Schritte in die richtige Richtung, in der Politik, aber auch im Alltag: „Elterncafés in Kitas sind zum Beispiel eine gute Möglichkeit.“ Von Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen fordert sie mehr Engagement, um Gesprächskanäle offen zu halten und zu Toleranz und Akzeptanz beizutragen. Schließlich könnten gerade Christen, die in Deutschland mehr und mehr zur Minderheit werden, von Glaubensgemeinschaften lernen, die schon lange in der Diaspora leben, wie Moritz Vogel findet. „Religion ist nicht von Kultur zu trennen, damit tut sich das Christentum manchmal schwer. In anderen Religionen hier in Deutschland sehen wir, dass die zwischenmenschliche Gemeinschaft viel mehr im Vordergrund steht. Das spricht Menschen an, denn jeder trägt ein Bedürfnis nach Spiritualität und Identitätsgefühl in sich“, erklärt er und ergänzt: „Kommen Sie aber auch mit Ihren Kindern und Enkelkindern, mit Ihren Schülern und Nachbarskindern ins Gespräch! Kinder gehen völlig offen und unvoreingenommen auf andere Religionen zu.“ Gepaart mit ihrer Neugier entstünden dann die Fragen, die auf religionen-entdecken.de beantwortet werden – weil Kinderfragen nicht unbeantwortet bleiben dürfen. Website www.religionen-entdecken.de beantwortet Kinderfragen
Ruth Weinhold-Heße Foto: shutterstock/katjen „Suchet der Stadt Bestes“ – in Pirna. Gehen, schweigen, zuhören, miteinander reden – das bietet ein Ehepaar aus Pirna in seiner Freizeit an. Die Beiden sind offen für alle, die mitkommen möchten, und wollen damit vor allem Menschen zusammenbringen. Ein ökumenisches Experiment mit offenem Ausgang. „Was können wir gut? Und was machen wir gerne?“ – zwei Fragen, die sich Silke Maresch und ihr Mann Tobias Hupfer-Maresch stellten, als sie sich vornahmen, etwas Gutes für ihre Heimatstadt Pirna zu tun. Ihr Ziel: Dass Menschen ins Gespräch kommen, einfach miteinander reden, sich gegenseitig zuhören. „Daraus kann ja etwas Neues entstehen“, so Silke Maresch, gebürtige Pirnaerin. Das Ehepaar bietet nun ein Pilgerwochenende an, das unter dem Motto steht: „Suchet der Stadt Bestes“. Ein Flyer liegt in evangelischen und katholischen Kirchen in Pirna aus. Sie laden ein, drei Tage gemeinsam unterwegs zu sein, haben eine Pilgerroute ausgesucht und einfache Übernachtungsmöglichkeiten. Morgen- und Mittagsimpulse wird es geben und einen Tagesrückblick am Abend, maximal 20 Kilometer am Tag wollen sie gehen. „Silke hat eine Pilgerbegleitausbildung gemacht und wir kommen beide aus der Sozialen Arbeit, haben Erfahrung mit niedrigschwelligen Angeboten, wie sie in den beiden Kirchen oft fehlen“, erzählt der evangelische Christ Tobias Hupfer-Maresch. Und seine Frau, Katholikin, fügt lachend hinzu: „Wir wandern gerne. Im schlimmsten Fall wäre es ein Wochenende zu zweit geworden.“ Einige Pilger haben sich aber schon angemeldet: Zwei Freunde, die zaghaft gefragt hätten, ob sie auch mitmachen könnten, obwohl sie keine Christen seien, und drei Interessierte, die sie (noch) nicht kennen. „Wir werden mit einigen fremden Menschen gehen. Beim Laufen entschleunigt man ja automatisch. Da kann man gut zuhören, weil es keinen Zeitdruck gibt. Wir sind gespannt, was daraus entsteht. Wenn es gut läuft, gehen wir nächstes Jahr weiter“, sagt Silke Maresch. Silke Maresch und ihr Mann Tobias Hupfer-Maresch bieten ein Pilgerwochenende an. Christlicher Auftrag: Grenzen überwinden „Als Christen haben wir etwas in die Gesellschaft einzubringen“, begründet Tobias Hupfer-Maresch sein Engagement, das er seit Jahren in seine Kirche einbringt. Er ist Diakon und systemischer Coach. „Unser christlicher Auftrag ist es, Grenzen zu überwinden“, ist er überzeugt. Damit meint er auch die Grenze zwischen den Konfessionen. Denn wenn es immer weniger Christen in der Region gebe, müsse man doch nicht alles getrennt machen. Ihre Ehe ist gelebte Ökumene. Darüber hinaus ist er politisch aktiv, kandidierte 2024 für den Pirnaer Stadtrat. „Manchmal war ich sehr frustriert im Wahlkampf. Da habe ich mich auf den Marktplatz gestellt und versucht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, aber viel Ablehnung erfahren, weil ich für die Grünen kandidiert habe“, erzählt er. Viele wollten nicht einmal mit ihm reden. Silke Maresch, Malteser-Seelsorgerin für die Bistümer Dresden-Meißen und Görlitz, berichtet aber auch darüber, dass Menschen dankbar sind, wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkt: „Da haben wir irre gute Erfahrungen gemacht und viel Anerkennung bekommen, weil wir uns zum Beispiel ein ganzes Wochenende Zeit für sie genommen haben.“ Das Pilgerwochenende bieten sie in ihrer Freizeit an. Sie wollen nicht bei der Kritik an ihren Kirchen und der Gesellschaft stehen bleiben. Silke Maresch betont: „Kirche funktioniert über Menschen, die da hingehen und sich engagieren. Wir wollen machen statt meckern.“ „Suchet der Stadt Bestes“ – Pilgern durch Pirna
Gregor Mühlhaus Fotos: Gregor Mühlhaus Die Kinder sprühen auch die Internetadresse „wuerde-unantastbar.de“ auf den Boden. Auf der Website informiert der Verein für Menschenwürde und Demokratie über seine Anliegen. Eltern und Kinder der „Familienbande Worbis“ haben mit einer Straßen-Spray-Aktion den Erhalt von Vielfalt, Demokratie und Menschlichkeit eingefordert. Es ist ein kalter und ungemütlicher Mittwochnachmittag, als Sandra Schmidt vor dem „Hugo Aufderbeck Haus“ der katholischen Gemeinde in Worbis steht und zahlreiche Pappschablonen auspackt. „Würde Unantastbar“, „Worbis bleibt bunt“ und „Kinderkirche“ lauten die Schriftzüge, die die 50-Jährige vom Familienkreis „Familienbande Worbis“ mit weiteren fleißigen Helferinnen in die Pappen eingestanzt hat. Die mahnenden Worte sollen mit Kreidefarbe auf den Kirchplatz gesprüht werden. Auch sind Schablonen vorbereitet, die eine Krone zeigen. Diese soll für die Einzigartigkeit eines jeden stehen. Als die ersten Kinder mit ihren Eltern kommen, erzählt Schmidt, dass ihr die Idee zur Aktion beim Surfen im Internet kam. „Ich sah, dass sich ein Verein für Demokratie vehement dafür einsetzt, dass Würde und Akzeptanz nicht nur Worte bleiben, sondern jeden Tag neu eingefordert werden müssen“. Also startete die Kirchortratsvorsitzende eine große Farbsprühaktion in der Pfarrei St. Antonius Worbis. Leo, Antonius, Dorothea und Feline schnappen sich die ersten Schablonen und Dosen, schütteln sie und beginnen mit ihrer Arbeit. Andere Kinder haben sich auf den Weg zum evangelischen Pfarrhof, zu einem Pflegeheim und zur Antoniuskirche gemacht. Auch dort wird für die „Würde“ gesprüht, ebenso wie in Breitenworbis vor der Kirche St. Vitus. „Einige Leute wollen, dass bestimmte Menschen aus unserem Land verschwinden sollen. Ich will das nicht. Deswegen mache ich hier heute mit“, sagt Antonius, während er sich eine zweite Farbdose schnappt. Leo neben ihm sprüht einen Buchstaben nach dem anderen und erzählt, dass drei muslimische Kinder in seiner Klasse waren, die richtig nett sind. „Die möchten auch in Würde leben. Aber manche Politiker können Ausländer nicht leiden“, sagt er. Dankbar, in Deutschland leben zu können Nach einer knappen Stunde kommen bereits Teilnehmer von der Antoniuskirche zurück. Mit dabei sind Baroa Tarbush, ihr Bruder und ihre Mama, die bei dem Projekt mitmachen. Sie sind vor zwei Jahren aus der Stadt Alhasaka in Syrien geflüchtet. Baroa erzählt, dass es dort, wo sie herkommt,  keine Schulen, keine Krankenhäuser und keine Apotheken mehr gibt. „Alles ist zerstört“, sagt die Zwölfjährige. Baroas Mama stellt ihre Sprühdose auf den Tisch und erzählt in gebrochenem Deutsch: „Wir sind so froh, dass wir hier sein können. Manchmal erzählt man uns, dass es in Deutschland Politiker gibt, die uns loswerden wollen. Dann weiß ich nicht, was ich den Kindern sagen soll. Ich will sie nicht unendlich traurig machen.“ Sandra Schmidt teilt unterdessen bedruckte Kronkorken aus. In jedem steht ein kleiner Spruch wie „Königskind“, „Mit Würde ausgesendet“ und „Worbis hat Würde“. „Es sind Kronen für die Hosentasche. Steckt sie euch als Erinnerung ein“, sagt sie dabei den Kindern. Bevor alle den Heimweg antreten, zeigt sich auch Christiane Vernaleken mit dem Nachmittag zufrieden. Die Worbiserin hat sich an der Initiative beteiligt und wünscht sich noch mehr solcher Aktionen. „So kann es weitergehen. Es muss Leute geben, die vorangehen. Und die haben wir in unserer Pfarrgemeinde. Man muss einfach etwas tun gegen Strömungen, die demokratiefeindlich sind. Und die gibt es leider genug.“ Kinder setzen in Worbis Zeichen für Menschenwürde

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