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Dürfen Sie als Frau in Ihrem Bistum in angemessener Weise mitgestalten und -entscheiden? Bei der Weltsynode boten Frauenfragen einigen Zündstoff. Der TAG DES HERRN hat ostdeutsche Katholikinnen nach ihrer Zufriedenheit gefragt.
Keine Hoffnung auf Änderungen
Frauen „dürfen“ nichts entscheiden! Schon das Wort „dürfen“ hat etwas Unterwürfiges in der Aussage. Fakt ist: Männer und Frauen sind in der katholischen Kirche nicht gleichberechtigt! Nach der schleppenden Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und dem Scheitern des Synodalen Weges habe ich keine Hoffnung mehr, dass sich diese seit Jahrhunderten bestehende Ungerechtigkeit zu Gunsten der Frauen ändert. Die aktuelle Weltsynode zeigt deutlich, geweihte Männer sind nicht daran interessiert. Ich jedenfalls werde es nicht mehr erleben. Die Meinungen der Frauen waren noch nie erwünscht und kritische Frauen werden – so erlebe ich es – selbst in den Gemeinden verachtet. Ja, die Kirche wird Schaden nehmen, wenn Frauen sich enttäuscht abwenden.
Schauen wir auf die frühen Quellen: Jesus ist wertschätzend mit Frauen umgegangen und es gab in der Urkirche Apostelinnen, die unstrittig gepredigt, gesegnet und das Brot gebrochen haben… Warum kann daran nicht angeknüpft werden?
Die katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) kämpft seit langem um die Gleichstellung der Frauen und hat seit 2020 zu einem bundesweiten „Predigerinnentag“ am Tag der Apostelin Junia (17. Mai) aufgerufen. Zwölf ausgewählte Frauen kamen an diesem Tag zu Wort. In allen Diözesen Deutschlands wurde Frauen das Predigen im Gottesdienst ermöglicht. 2023 standen zirka 70 Theologinnen, Gottesdienstbeauftragte oder Gemeindereferentinnen am Ambo. 2024 waren es schon 190 Frauen, die bundesweit predigten. Dazu ein Beispiel aus unserem Bistum: In Leipzig wurde 2023 (mit Hinweis auf das Predigtverbot für Laien aus Rom) einer Gottesdienstbeauftragten zum 17. Mai keine Predigt erlaubt – nur als Statio „durfte“ sie ihre Gedanken äußern. Was sollen solche Machtdemonstrationen?
Noch ein Hinweis: Namhafte Theologinnen, wie beispielsweise die Professorin Agnes Wuckelt weisen seit vielen Jahren auf die Ungerechtigkeit gegenüber Frauen in der Bibel bei der verordneten Leseordung für Evangelien und Lesungen hin. Wichtige Frauen des Alten Testaments kommen gar nicht vor und anwesende Jüngerinnen um Jesus werden einfach weggelassen oder nur negativ benannt. Auf diese Weise werden in der Leseordnung Frauen einfach falsch dargestellt und – was ich so bedenklich finde – auch Kindern ein „sündiges“ Frauenbild vermittelt. Bei der ablehnenden Haltung der katholischen Kirche zum Frauenthema soll das Zufall sein? Wie lange wird das noch so praktiziert werden?
// Angelika Pohler, 73 Jahre, Leipzig
Man muss nicht Priester oder Diakon sein
Ich habe noch nie erlebt, dass ich mich ins kirchliche Leben einbringen wollte und mir der Weg versperrt gewesen wäre. Persönlich habe ich mich gerne auf der sozialen und spirituellen Ebene engagiert, bei Kinderfahrten, Gemeindefesten und Gebetszeiten. Hier in Greifswald und auch in meiner Heimat, Rügen, setzen sich viele Frauen voller Tatkraft in den Gemeinderäten ein. Gerade die Vorsitzende war, solange ich auf Rügen gelebt habe, immer eine Frau.
Allerdings gibt es durchaus Frauen in meinem Umfeld, die sich andere Aufgaben wünschen: nicht mehr, sondern bedeutsamer. In ihren Augen kann eine Frau, wenn sie nicht Diakon oder Priester sein darf, nicht wichtig sein. Ich würde dem widersprechen: Man muss nicht Priester oder Diakon sein, um wesentliche Aufgaben zu übernehmen. Gerade für die alltägliche Gestaltung des Gemeindelebens ist großteils unsere Gemeindereferentin verantwortlich. Unser Pfarrer unterstützt Beteiligung sehr und versucht, alle ins Boot zu holen. Im Gebetskreis beten wir zudem für die Kirche und die Priester – da können Männer und Frauen gleichermaßen mitwirken. Die Frauen in meiner Gemeinde leiten auch Gebetszeiten und setzen das Allerheiligste für die Anbetung aus.
Auf höheren Entscheidungsebenen, wo die Positionen Priestern und Bischöfen vorbehalten sind, wird es sicherlich schwieriger. Von meinem Standpunkt aus störe ich mich daran jedoch nicht, weil ich mich ganz konkret am Leben und Gebet der Gemeinde beteiligen kann. Das ist in meinen Augen das Wesentliche.
// Lena Langer, 28 Jahre, Greifswald
Nie aufs Dienen konditioniert
Ich bin die Walentina Tereschkowa der Rundfunkarbeit. Sie die erste Frau im Weltraum, ich die erste Frau in der Abteilung Hörfunk- und Fernseharbeit im Erzbistum Berlin. Vom Erzbischof zur Rundfunkbeauftragten ernannt, konnte ich über die Diözese hinaus auch in Gremien der Deutschen Bischofskonferenz mitgestalten und -entscheiden. Beispielsweise Priesteramtskandidaten im Rahmen ihrer Ausbildung ans Herz legen, nicht auf „Kirchisch“ zu predigen, weil es nicht mehr verstanden wird.
Mit alltagstauglicher Sprache und Spiritualität konnte ich als Verantwortliche für Verkündigungs- und redaktionelle Sendungen oder Gottesdienstübertragungen auch in den Sendern punkten. Musste nur etwa bei TV-Talkrunden immer erst erklären, keine Pastorin zu sein.
Als „Ostfrau“ komme ich gut klar mit „Männerbünden“. Es wäre mir daher gar nicht in den Sinn gekommen, im Weinberg des Herrn als Frau weniger wert zu sein oder nicht ernst genommen zu werden. In den 1980ern war ich Autorin im St. Benno Verlag Leipzig. „Sie haben die Freiheit des Laien“, betonte der Cheflektor, ein Priester, in Bezug auf meine Buchprojekte.
20 Jahre lang engagierte ich mich in Pfarrgemeinderäten. Hab Einkehrtage oder Glaubensseminare mitgestaltet und ja, auch mal die Kirche geputzt. Freiwillig. Aufs Dienen „konditioniert“ wurde ich nie.
Seit ich 1965 in Leipzig-Connewitz in die Pfarrjugend aufgenommen wurde und danach eine Kindergruppe der Pfarrei leiten durfte, macht mir das Mitgestalten einfach Freude. Auch heute leite ich daher noch eine Seniorengruppe.
// Juliane Bittner, 73 Jahre, Berlin
Ich kann Kirche mitgestalten
Die Frage, ob ich im Bistum Erfurt Gehör finde, kann ich persönlich mit einem klaren Ja beantworten. Ein schönes Beispiel dafür ist, dass mich der Bischof als Theologin und bewusst auch als Frau mit der geistlichen Assistenz im Katholikenrat des Bistums beauftragt hat. Das bedeutet, dass ich den Rat geistlich, liturgisch, aber auch theologisch unterstütze. Darüber hinaus wurde ich als Diakonatshelferin beauftragt – ich leite Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionspendung. Im ganzen Bistum gibt es Frauen, die als Diakonatshelferinnen pastorale und geistliche Aufgaben übernehmen und damit eine wichtige Arbeit in Verkündigung und Pastoral leisten. Der Dienst der Diakonatshelferinnen und -helfer steht hier allen Geschlechtern offen, die Grundlage dafür sind Taufe und Firmung.
Dennoch gibt es Türen, die noch geöffnet werden müssen: Ich kann wegen meines Geschlechts nicht geweiht werden und somit beispielsweise weder eine Eucharistiefeier leiten, noch bei einer Trauung assistieren. Zu Beerdigungen hingegen werden Frauen (und auch nicht-geweihte Männer) in meinem Bistum bereits beauftragt. Dabei denke ich, dass wir die Sakramente nicht vor den Menschen schützen müssen. Im Gegenteil: Sakramente sollen den Menschen Gutes mit auf den Weg geben. Die Frage ist sicherlich, was der Mehrwert der Weihe ist? Darauf habe ich für mich noch keine klare Antwort. Dringender finde ich die Frage, wieso Frauen nicht geweiht werden dürfen. Es ist biblisch belegt, dass Frauen wichtige Dienste in der Missionsarbeit und Gemeindeleitung übernommen haben. Und Jesus hat sowieso niemanden zum Priester oder Diakon geweiht. Da ist also in kirchlichen Strukturen und Argumentationslinien noch Luft nach oben, was die Gleichberechtigung angeht. Aber: In meinem Bistum kann ich Kirche mitgestalten und dazu fühle ich mich berufen.
// Paula Greiner-Bär, 27 Jahre, Erfurt
Stellung der Frauen in der Kirche
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Foto: imago/Norbert Neetz
Vor der evangelischen Stadtkirche St. Jacobus in Ilmenau erinnert ein Mahnmal an die Friedliche Revolution im Herbst 1989 und an die heutige politische Verantwortung.
Seit 35 Jahren verhilft Pfarrer Martin Montag Opfern der DDR-Diktatur zu Gerechtigkeit. „Wir haben manches erreicht“, sagt der Vorsitzende des Bürgerkomitees für Thüringen. Gerade die zwangsweise aus dem Sperrgebiet Ausgesiedelten bräuchten noch mehr.
Pfarrer Martin MontagFoto: privat
Die eindringliche Bitte von Fritz Recknagel ist Pfarrer Martin Montag im Ohr geblieben: „Sorgt dafür, dass hier keine Akten politisch Gefangener vernichtet werden!“ Als einer der ersten politischen DDR-Häftlinge wandte sich der Handwerker aus dem Thüringer Wald im Dezember 1989 an die neu gegründete Kommission zur Auflösung der Stasizentrale in Suhl. Ihm war bewusst, dass er und seine Leidensgefährten ohne die Akten später kaum glaubhaft bezeugen könnten, was ihnen widerfahren ist.
Martin Montag, damals Pfarrer von Zella-Mehlis, half bei der Auflösung der Stasi. Gut zwei Monate zuvor hatte er zu denen gehört, die in Suhl ökumenische Friedensgebete organisierten. Er war auch an der Seite der Bürger, die vor der dortigen Stasi-Zentrale demonstrierten und sie schließlich am 4. Dezember besetzten. Er hörte aufmerksam zu, als Fritz Recknagel von den Umständen seiner Haft berichtete: Der kleine private Metallbetrieb, in dem er arbeitete, hatte sich 1960 gegen die drohende Verstaatlichung gewehrt, und Fritz Recknagel erhielt deshalb eine Vorladung.
Auf dem Weg zum Termin hielt die Volkspolizei ihn an und nahm ihn fest, „zur Klärung eines Sachverhalts“, wie es damals hieß. Er sei auf der Autobahn gegen ein Armeefahrzeug gefahren und habe Fahrerflucht begangen, lautete der erfundene Vorwurf. In der Stasi-Untersuchungshaft in Suhl musste er sich ausziehen, erhielt Schläge auf die Waden. Es folgten Nächte mit Verhören. Stasiführungskräfte spuckten ihm dabei ins Gesicht, würgten ihn am Hals und stießen ihn mit dem Kopf gegen die Wand.
Von Februar oder März bis zum August 1961 war er in der Psychiatrie Waldheim inhaftiert, abgeurteilt nach mehreren Paragrafen des Strafergänzungsgesetzes, in denen es unter anderem um Verbindung zu verbrecherischen Organisationen und um staatsgefährdende Gewaltakte geht.
Täter nicht davonkommen lassen
Was Fritz Recknagel von einer Justiz der Willkür berichtete, war für die Kommission der erste Anstoß, eine Arbeitsgruppe zu gründen, die sich mit Menschenrechtsverstößen des DDR-Staats beschäftigt. Dort konnten sich Thüringer melden, die zur Zeit der Sowjetischen Militäradministration oder der SED-Diktatur ohne rechtsstaatliches Verfahren verurteilt worden. Die Kommission, die sich später in Bürgerkomitee umbenannte, bereitete die Fälle für eine strafrechtliche Rehabilitation auf und legte sie dann dem Bezirksstaatsanwalt in Suhl vor.
Allein Fritz Recknagel übermittelte innerhalb weniger Monate über 350 solcher Fälle. Bis heute kümmert sich das Bürgerkomitee nicht nur um Einzelne, die Hilfe suchen. Von Beginn an haben sich Martin Montag und seine Mitstreiter gemeinsam mit anderen Akteuren auch in die Gesetzgebung und die Novellierungen der Gesetze eingebracht und damit dazu beigetragen, dass Täter nicht ungeschoren davonkamen und Wiedergutmachung möglich wurde.
DDR-Grenztruppen bei einer Personenkontrolle im März 1956.Foto: imago/frontalvision.com
Die letzte Gesetzesnovelle, über die sich Pfarrer Montag gefreut hat, ist fünf Jahre alt und betrifft ehemalige DDR-Heimkinder und Insassen der Jugendwerkhöfe. Ähnlich wie erwachsene Inhaftierte können auch sie inzwischen strafrechtlich rehabilitiert werden.
Wenn öffentlich über die SED-Diktatur debattiert wird, mischen sich die Mitglieder des Bürgerkomitees gern ein. Montag, der inzwischen als Ruhestands-Priester in Meiningen lebt, beobachtet mit Sorge, dass diktatorische Phasen der deutschen Geschichte immer wieder verklärt und gerechtfertigt werden. Es habe doch im Nationalsozialismus und in der DDR durchaus Formen des Rechtsstaates gegeben, höre er oft. Nach allen denkbaren Definitionen sei die DDR kein Rechts-, sondern ein Unrechtsstaat gewesen, hält er entgegen. „Wenn es politisch erlaubt ist, in dieser Weise Unrechtssysteme zu relativieren, bahnen wir einem Links- und Rechtsradikalismus den Weg, der nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht“, ist er überzeugt. Dies öffne bereits bestehenden und künftigen Staatsdiktaturen Tür und Tor.
Nicht predigen, sondern helfen
Stele auf dem Jenaer Nordfriedhof für Matthias Domaschk, der 1981 in Stasihaft starb.Foto: imago/stock&people
Über viele Jahre hinweg hat Martin Montag in Berufs- und allgemeinbildenden Schulen politische Bildungsveranstaltungen angeboten – eingeladen wurde er aber seltener als erwartet. „Ich nehme da in unseren Schulen ein anhaltendes Vakuum wahr“, bedauert er. Ihm liegt es am Herzen, Jugendlichen den Wert der freiheitlichen Demokratie und einer unabhängigen Rechtssprechung nahezubringen.
Als katholischer Priester ein Ehrenamt in einem Verein wie dem Bürgerkomitee zu übernehmen, empfindet er keinesfalls als exotisch: „Unsere Gesellschaft lebt doch davon, dass jeder sich ehrenamtlich engagiert“, sagt er, Priester sollten davon nicht ausgenommen sein. Seine Kirche weiß er dabei hinter sich, von Beginn an leiste er seinen Dienst mit offiziellem Auftrag des Bistums Erfurt. Die Menschen, die seine Hilfe suchen, interessiere sein religiöser Hintergrund allerdings kaum, sagt er.
Wenn er als Vorsitzender des Bürgerkomitees im Freistaat Thüringen unterwegs ist, predigt er nicht, sondern versucht, Menschen das Leben zu erleichtern. Viele Schicksale gehen ihm nahe. Besonders dramatisch findet er die Lebensgeschichten derer, die in die Selbstschussanlagen geraten sind, die es bis in die 1980er Jahre hinein an der Grenze gab – und überlebten. „Mit schwersten Verletzungen kamen sie – oft nur notdürftig zusammengeflickt – wegen versuchter Republikflucht ins Gefängnis und haben dann ihr ganzes Leben gelitten.“ Der Zynismus, mit dem ehemalige Mitarbeiter des Politbüros oder des Nationalen Verteidigungsrates über das Thema redeten, hat Martin Montag wütend gemacht: „Dass dahinter Menschenleben stehen, hat sie überhaupt nicht interessiert.“
Aufgewühlt hat ihn auch, was er über Manfred Smolka erfahren hat. An dem ehemaligen Oberleutnant der Grenzpolizei wurde 1960 die Todesstrafe vollstreckt. Aus „erzieherischen Gründen“ veranlasste Stasi-Minister Erich Mielke einen Schauprozess gegen den jungen Familienvater, der nach seiner Entlassung aus der Armee aus der DDR geflüchtet war.
Zwangsausgesiedelte fair behandeln
Die größte Herausforderung in der Aufarbeitung des DDR-Unrechts sieht Martin Montag derzeit bei den ehemaligen DDR-Bürgern, die gegen ihren Willen aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere umgesiedelt wurden. In den bisherigen Reha-Gesetzen werde seiner Ansicht nach nur unzureichend berücksichtigt, dass sich Enteignung und Vertreibung traumatisierend auswirkten.
Die Stasi habe beispielsweise schon vor der Deporation in den neuen Wohnorten Gerüchte gestreut, dass die Neuankömmlinge Kriminelle seien. Sie konnten ihren Beruf nicht mehr ausüben, kamen oft in unwürdigen Behausungen unter und blieben dauerhaft sozial isoliert. Viele der rund 12 000 Betroffenen seien inzwischen nicht mehr am Leben. „Es wäre schade, wenn der Staat hier einfach auf eine biologische Lösung setzte“, meint Martin Montag.
Entschädigung für Opfer des DDR-Regimes
Johanna Marin
Foto: privat
Guido Funke (links) ist gerne unter Menschen. Hier in einer römischen Bar mit englischen Gästen.
Der Eichsfelder Priester Guido Funke hat seine Stelle bei der deutschen Gemeinde in Rom angetreten. Als Seelsorger begegnen ihm nun ganz neue Aufgaben, andere Perspektiven auf Deutschland und eine Sprachbarriere, die er erst noch überwinden muss.
Er kann sich nicht vorstellen, auf Dauer woanders als in seiner Heimatregion zu leben, hat Guido Funke noch zu seiner Priesterweihe gesagt. Nun, fünf Jahre später, ist der gebürtige Eichsfelder nach Rom gezogen und wurde Kurat der deutschen Gemeinde Santa Maria dell’Anima. Wie kam es dazu? „Nach fünf Jahren Priestertum wollte ich nochmal eine andere Form der Seelsorge kennenlernen.“, erzählt der 37-Jährige.
Wie bei seiner letzten Stelle in Arenshausen ist er in der Anima für die Seelsorge zuständig. Anders als im Eichsfeld kommen die Gläubigen hier allerdings nicht nur aus dem Umkreis. Guido Funke trifft auf Pilger, die aus Deutschland anreisen, pflegt Kontakt zu Studenten, die ein Auslandsjahr absolvieren, und unterrichtet Kinder an der Deutschen Schule.
Der Seelsorger hält es für wichtig, sich anderen aufmerksam zuzuwenden. Wenngleich es in der touristischen Innenstadt Roms zum Stadtbild gehört, dass Priester und Bischöfe durch die Gassen gehen, mache es doch einen Unterschied, ob einer nur vorbei laufe oder die Leute auch anspreche, sagt er. Guido Funke sieht sich zu allen Menschen gesandt, nicht nur zu den Gläubigen. Deshalb möchte er die Kultur Italiens besser kennenlernen, um die Sorgen der Menschen zu verstehen. In Rom koste es zum Beispiel genauso viel, den Alltag zu bestreiten, wie in Deutschland – allerdings bei deutlich geringeren Löhnen. Auch für obdachlose Menschen will er Ansprechpartner sein.
Doch wie ist es nun, als heimatverbundener Mensch in einer fremden Stadt zu leben? Guido Funke erzählt, dass er die Leute eigentlich überall, wo er war, gern hatte. Da blickt er auch mal wehmütig zurück. Aber: „Meine ehemaligen Gemeindemitglieder sind ja nicht aus der Welt“, freut sich der Kurat. Unter anderem hält er über seinen Instagram-Kanal Kontakt zu ihnen. Die Jüngeren zeigen ihren Eltern dann seine Fotos.
Was er vermisst, sind seine Sprachfertigkeiten in der Seelsorge. Dafür sei sein Italienisch noch nicht gut genug. „Ich bin ein kommunikativer Mensch und muss jetzt gucken, dass ich dieses Handicap schnell ausgleiche“, sagt er. Wenn er in der Deutschen Schule mit italienischen Kindern spricht, behilft er sich momentan noch mit Übersetzungen aus dem Internet. Die gleiche Sprache zu sprechen, macht Seelsorge leichter, findet Guido Funke.
In seiner neuen Umgebung weht ein weltkirchlicher Wind: neben den Deutschen, die für den Gottesdienst teilweise weite Strecken aus der Umgebung Roms auf sich nehmen, ist Santa Maria dell’Anima Unterkunft für Priester, die vom Dienst freigestellt wurden, um zu promovieren. Männer aus Litauen und der Slowakei wohnen dort, aus dem Libanon und dem Iran. Hinter der Gemeinschaft mit Christus treten die „kleinen“ innerkirchlichen Probleme Deutschlands zurück. „Da gibt es ein Miteinander aufgrund unseres Christseins“, erzählt der Kurat. „Jeder bringt seine Lebenswirklichkeit mit ein“, betont er und freut sich auf die anstehenden Aufgaben – vielleicht irgendwann mit etwas mehr Italienisch „im Gepäck“.
Eichsfelder wird Seelsorger der deutschen Gemeinde in Rom
Rocco Thiede
Foto: Rocco Thiede
Die Alexanderdorfer Schwestern Ruth Lazar (links) und Elisabeth Neumann erinnern sich an den Mauerfall.
Vor 35 Jahren fiel am 9. November die Mauer in Berlin. Zwei Nonnen aus dem brandenburgischen Kloster Alexanderdorf erinnern sich an diesen Moment und ihre damaligen Erwartungen an die deutsche Wiedervereinigung.
Schwester Elisabeth Neumann und Schwester Ruth Lazar sind Zeitzeugen als Katholikinnen in der DDR. Die politische Wende, die friedliche Revolution, der Mauerfall vor 35 Jahren und die Wiedervereinigung erreichte sie im Kloster Alexanderdorf, etwa eine Stunde von Berlin entfernt.
Schwester Elisabeth erinnert sich an die ersten Jahre in der DDR. Obwohl sie im ersten Versuch noch abgelehnt wurde, konnte sie dann doch am Institut in Meinigen Lehramt studieren: „Meine Mutter hat für mich gekämpft. Sie ist in die SED eingetreten. Sie, die treue Genossin, während ich, aus ihrer Sicht, eine undankbare Tochter war, die stur an der Kirche festhielt.“ Weil sie kirchliche Kurse besucht hatte, wurde sie nach dem Mauerbau aber exmatrikuliert „und als Bewährung in einen sozialistischen Betrieb geschickt, wo ich im Akkord Bleche für Mistgabeln stanzen musste“. Doch sie ging ihren Weg und lernte in Erfurt den Beruf der Krankenschwester. „Wir waren in der Kardiologie eine sehr christliche Station und dennoch ein sozialistisches Kollektiv mit Brigadetagebuch“, lacht sie.
Anders verlief der Weg der jüngeren Ruth Lazar, gebürtige Ostberlinerin. In ihrer katholischen Familie habe sie „eine normale DDR-Kindheit und eine lebendige christliche Pfarrjugend erlebt.“ Ihr Vater war Leiter in einem wissenschaftlichen Institut, Mitglied der CDU-Ost und Mandatsträger in der Berliner-Stadtverordnetenversammlung. „Wir hatten gewisse Freiheiten und Vater stärkte uns den Rücken, wenn wir in der Schule mal angezählt wurden, weil wir in der Kirche sind und manches nicht mitmachten.“
Den Tag, an dem die Mauer fiel, erlebten beide im Kloster. „Die Menschen waren immer weniger bereit, sich in dieses System zu fügen. Dann kamen das Massaker in Peking und die großen Montags-Demonstrationen in Leipzig“, so Schwester Ruth. Proteste im Kloster Alexanderdorf liefen anders ab: „Wir haben viele christliche Nachbarn hier im Dorf, die haben sich jeden Abend bei uns in der Klosterkirche versammelt und Rosenkranz gebetet, dass alles friedlich bleibt.“
Für Schwester Ruth war der Mauerfall: „ein Wunder“. Sie erinnert sich an Geistliche, die gerade zu Exerzitien zu Besuch waren. In der Abschlussmesse „sangen alle Priester aus vollem Hals ‚Großer Gott, wir loben dich‘“.
Als Schwester Elisabeth im Februar 1990 vor dem Brandenburger Tor stand, kam sie nicht auf die Idee hindurch zu gehen. „Für mich war das noch eine unsichtbare Grenze. Da war eine Sperre in mir.“ Das erste Mal im Westen war sie ein Jahr später, im Tochterkloster Dinklage in Niedersachsen. Sie fühlte sich dort als „Exotin“. Für ihre westdeutschen Mitschwestern war „die DDR weiter weg als China“.
Bleibt die Frage, ob es für die Nonnen Alternativen zur historischen Entwicklung gegeben habe. Schwester Elisabeth zögert: „Ich war nicht begeistert. Damals habe ich mehr diese Bürgerrechtsbewegung innerlich unterstützt, die einen sozialistischen Staat mit humanistischem Gesicht propagierte. Heute weiß ich, dass das unrealistisch war. Die DDR war kaputt. Da war nichts mehr zu retten.“
Schwester Ruth verkündet: „Ich war mit dem Weg, der in rasanter Schnelligkeit zur Wiedervereinigung geführt hat, voll einverstanden. Ich weiß noch, dass ich am 3. Oktober ein sehr starkes Gefühl hatte: Jetzt ist der Krieg vorbei.“
Nonnen aus dem Kloster Alexanderdorf erinnern sich an Mauerfall
Christina Innemann
„Den Brief haben wir in einer alten Jacke von Omi gefunden“, sagt meine Mutter bei einem Besuch und reicht ihn mir. Vor über 20 Jahren habe ich ihn meiner Oma und meinem Opa geschrieben. Das Abitur in der Tasche, auf dem Weg in die weite Welt.
Christina InnemannKatholische Polizeiseelsorgerin in Mecklenburg-Vorpommern
Ich lese meine eigene Handschrift und werde erinnert: An das, was ich erlebt habe. Wie liebevoll ich über meine Großeltern gedacht habe. An die Wünsche, die ich für mein Leben hatte – und mein Heimweh. „Sie muss ihn jahrelang in dieser Jacke getragen haben“, schmunzelt meine Mutter.
Ich schlucke. Viel hat sich seitdem verändert. Inzwischen ist meine Oma schwer dement, verwitwet und in einer Pflegeeinrichtung. Mein Vater, sein Bruder und andere Verwandte kümmern sich liebevoll um sie. Der Brief ist eine Art Zeugnis. Wie eine Erinnerung daran, wie es einmal war. Ich glaube, er ist sogar mehr: Eine Verpflichtung, für heute etwas davon mitzunehmen.
Für mich sind persönliche Briefe etwas ganz Besonderes. Wenn sie aufbewahrt werden, können Menschen Jahre später etwas daraus lernen. Indem sie zum Beispiel an Geschehenes erinnert werden, Zukunftsvisionen der Vorfahren lesen und eigene Schlüsse für die Gegenwart daraus ziehen. Auch in der Bibel gibt es Passagen, die aus Briefen bestehen. In der Regel wurden sie von den Aposteln selbst verfasst oder in ihrem Namen geschrieben. Sie richten sich an die ersten christlichen Gemeinden oder Einzelpersonen. In ihnen wird berichtet, was sich ereignet hat. Sie erinnern an die enge Verbindung zwischen Schreiber und Adressaten und äußern Aufträge oder Ideen für die Zukunft.
Der Brief meiner Oma erinnert mich an zwei Dinge: Daran, dass es Zeit wird für einen lang aufgeschobenen Besuch bei ihr. Und daran, mir einige der Briefe der Bibel heute anzuschauen.
Anstoß 29/2024
Ruth Weinhold-Heße
Fotos: Ruth Weinhold-Heße
Eine Pilgerreise mit anspruchsvollem Programm erlebte eine ökumenische Gruppe aus Sachsen in Rom. Höhepunkte waren die Privataudienz bei Papst Franziskus, eine Dankandacht zum Tag der Deutschen Einheit und mehrere Konzerte der Dresdner Kapellknaben.
Es war eine geradezu typische Szene für die bunte Gruppe, die sich Anfang Oktober gemeinsam auf eine Pilgerreise nach Rom begeben hatte: Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert trug am letzten Abend bei einem Zwischenstop auf der Rückfahrt einen Stapel Pizzakartons zu einem der zwei Reisebusse. 80 Pizzen wurden kurz darauf genüsslich am Ufer des Gardasees von den Dresdner Kapellknaben, einer Gruppe ökumenischer Pilger und mitgereisten Journalisten verspeist. Schon vorher, auf dem Weg von einem Pilgertermin zum nächsten, in der Altstadt Roms, sagte die Katholikin Monika Klimpel aus Bischofswerda: „Diese Pilgerreise hat mir bewusst gemacht, dass wir alle gleich sind vor Gott“ und ergänzte: „Das ist eine Reise der Superlative, die noch lange nachwirken wird.“
In der Heiligen Stadt waren zu der Pilgergruppe die zwei Bischöfe Heinrich Timmerevers (Bistum Dresden-Meißen) und Tobias Bilz (Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens) sowie Sachsens Staatsministerin Barbara Klepsch (CDU) dazu gekommen. Was Monika Klimpel dabei so faszinierte, war, dass es bei dem vollen Programm, den Gottesdiensten und den persönlichen Begegnungen keinen Unterschied mehr machte, welches Amt jemand innehatte. Jeder nahm etwas für sich mit: viele erlebten eine intensive Gemeinschaft, etliche machten spirituelle Erfahrungen und andere erfreuten sich vor allem an einem herausragenden Kulturprogramm.
Sieglinde Goldberg, Simone Bergmann und Monika Klimpel (von links) vor dem Petersdom.
Pilgern bedeute, vertraute Orte zu verlassen, erklärte Sebastian Kieslich vor der Abfahrt in Dresden. „Es ist eine Chance, Kraft und Mut für den Alltag zu sammeln.“ Der Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Dresden-Meißen hatte diese ökumenische Reise mit seinem evangelischen Kollegen Erik Panzig vorbereitet. Die sächsische Ministerin für Kultur und Tourismus, Barbara Klepsch, sah die Reise als Möglichkeit, „das Pilgern als eine wunderbare Art der spirituellen Erneuerung bekannter zu machen“.
Offen für neue Erfahrungen
Gestartet war die Gruppe am Abend des 30. September und fuhr mit Zwischenstopp in Assisi nach Rom. „Pilgern muss auch ein bisschen weh tun“, kommentierte Erik Panzig die rund 18-stündige Busfahrt lachend. „Pilgern bedeutet für mich in Gemeinschaft mit einem besonderen Ort oder ins Ungewisse zu wandern, dort zu beten und Zeit mit Gott zu verbringen“, erklärte Kapellknabe Conrad Diettrich am Ende der Reise. Fand der 11-Jährige trotz zahlreicher Gottesdienste und Konzerte dazu noch Zeit? „Vor den Konzerten haben wir immer eine Ruhepause, da hatte ich besonders das Gefühl, Gott nahe zu sein“, erzählte er. Die knapp 40 Jungen und Männer im Chor hatten in Rom ein intensives Programm absolviert und glänzten unter anderem mit dem „Messiah“ von Händel in der Basilika Santi Silvestro e Martino ai Monti. Ein besonders erhebender Moment war, als am Ende alle Zuschauer ins „Hallelujah“ einstimmten.
Die evangelische Christin Cornelia Behr aus Dresden fasste am Ende der Fahrt zusammen: „Ich fand die täglichen geistlichen Impulse am besten – das hat den Unterschied gemacht“ zu einer gewöhnlichen touristischen Reise nach Rom.
Die Dresdner Kapellknaben stimmen sich auf das Singen im Vatikan ein. Beim Eröffnungsgottesdienst der Weltsynode sangen sie auf dem Vorplatz des Petersdoms.
Neben diesen Kurzandachten der mitreisenden Geistlichen standen viele offizielle Termine an: Für die meisten der wichtigste Höhepunkt war die Privataudienz bei Papst Franziskus, früh um acht am 2. Oktober. Gleich im Anschluss feierte die sächsische Gruppe den Eröffnungsgottesdienst der katholischen Weltsynode auf dem Petersplatz gemeinsam mit dem Kirchenoberhaupt und rund 300 Bischöfen aus aller Welt, die Dresdner Kapellknaben wirkten musikalisch mit.
Der Heilige Vater betonte in seiner Ansprache während der Audienz an die Pilgergruppe, dass die Einheit der Jünger Jesu ein wichtiges Zeugnis bei der Weitergabe des Glaubens sei und sagte: „Im Namen der Kirche danke ich euch, dass ihr diesen ökumenischen Auftrag Jesu ernst nehmt und danach strebt, ihn zu verwirklichen“ – ob bei der gemeinsamen Pilgerfahrt oder im Alltag. Sein besonderer Dank galt dabei denen, die sich ehrenamtlich für das Pilgern einsetzen.
Diana Ziesch aus Crostwitz war tief gerührt davon, Papst Franziskus zu treffen: „Die persönliche Begegnung mit dem Papst war glaubensbestärkend. Franziskus hatte etwas Liebes, Authentisches“, erzählt sie direkt im Anschluss an die Audienz. Oberbürgermeister Dirk Hilbert überreichte dem Pontifex ein kleines Stück der eingestürzten Carola-Brücke. Er zeigte sich dankbar, dass niemand bei dem Einsturz in Dresden zu Schaden gekommen war.
Für Sieglinde Goldberg, die sich in Cunewalde ehrenamtlich in der größten evangelischen Dorfkirche Deutschlands engagiert, war die Privataudienz mit Papst Franziskus ein heilsamer Moment. Die Rentnerin erzählte im Anschluss von der Erfahrung, als Kind keinen Gottesdienst gemeinsam mit beiden Eltern besuchen zu können. Ihr Vater war evangelischer Christ, ihre Mutter Katholikin, sie selbst wurde evangelisch getauft und konfirmiert. „Das war für mich nicht schön, so etwas vergisst man nicht“, sagte sie. „Es war gut, hier in Rom zu sein, der jetzige Papst will ja die Ökumene fördern“, erklärte sie und zeigte sich beeindruckt davon, auf dem Petersplatz am Eröffnungsgottesdienst der Weltsynode teilnehmen zu können.
Papst Franziskus nahm sich viel Zeit für die ökumenische Pilgergruppe. Einige Kapellknaben fragten ihn nach Autogrammen, die er auch gab.
Für Ökumene nimmt sich Franziskus Zeit
Dass die Gruppe von rund 80 Menschen aus Sachsen eine ökumenische war, war der Türöffner für die Privataudienz bei Papst Franziskus, verriet Bischof Timmerevers. Eigentlich waren wegen der Weltsynode gar keine Audienztermine vorgesehen. Für die Gruppe aus Dresden ermöglichte Franziskus aber, dass sie ihn noch vor dem Eröffnungsgottesdienst treffen konnte – deshalb hieß es, früh aufzustehen, denn der Papst – so lernten die Teilnehmer – kommt öfter vor dem vereinten Termin. Bei Sonnenaufgang sangen sich die Kapellknaben vor den Mauern des Vatikan ein.
„Dass sich der Papst so viel Zeit für uns genommen hat, jeden persönlich grüßt, war schon sehr besonders“, sagte Bischof Timmerevers. Das Kirchenoberhaupt reichte jedem der Teilnehmer persönlich die Hand. Zu den Geschenken, die die Gäste nach Rom mitgebracht hatten, gehörte das Stück „Laudato si“ (Sei gelobt, mein Herr), das Domkapellmeister Christian Bonath für diesen Anlass komponiert hatte. Im Anschluss an die Uraufführung bekam der Papst die Partitur überreicht. „Ich kenne den Chor seit gut zwei Jahren, aber so still und konzentriert wie vor der Papstaudienz habe ich die Kapellknaben noch nie gesehen“, sagte der Domkapellmeister. Die Sänger waren sichtlich aufgeregt. Einige Kapellknaben ließen sich von Franziskus Autogramme geben oder etwa selbst gebastelte Rosenkränze segnen und der Papst machte gern mit.
In der Deutschen Botschaft am Heiligen Stuhl hielten Heinrich Timmerevers, Bischof des Bistums Dresden-Meißen, und Tobias Bilz, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, eine gemeinsame Ansprache.
Im Anschluss an den Besuch im Vatikan empfing der Deutsche Botschafter am Heiligen Stuhl, Bernhard Kotsch, die Gruppe. In der Botschaft gaben die Kapellknaben wiederum ein Kurzkonzert und die beiden Bischöfe aus Dresden erinnerten in einer gemeinsamen Ansprache an eine Reihe von Pilgern, in die sich die Gruppe aus Sachsen einfüge – auch Martin Luther pilgerte einst hierher. Barbara Klepsch, selbst Katholikin, dankte den Kapellknaben für das „großartige Geschenk“, den Papst treffen zu können und die Dresdner Kapellknaben dabei singen zu hören. „Etwas Größeres gibt es nicht! Ich bin unglaublich stolz, dass ich heute dabei sein kann,“ meinte sie sichtlich gerührt. Am Vorabend der Feier zur Wiedervereinigung Deutschlands betonte sie: „Vor 35 Jahren wäre es nicht selbstverständlich gewesen, dass wir nach Rom kommen.“
Am 3. Oktober feierte die Gruppe mit der deutschen katholischen Gemeinde Roms eine ökumenische Dankandacht im Päpstlichen Institut St. Maria dell’ Anima. Dabei wurde immer wieder die Hoffnung ausgesprochen, Brückenbauer zu sein – zwischen den Konfessionen, in der deutschen Gesellschaft, aber auch in den eigenen Familien.
Abendmahl und Eucharistie
Im weiteren Verlauf der Pilgerreise besuchte die Gruppe auch die evangelisch-lutherische Christusgemeinde in Rom, in der sie ein evangelisches Abendmahl feierte, sowie die Domitilla-Katakomben – einen Ort, an dem viele frühe christliche Märtyrer begraben liegen. In der dortigen Katakomben-Basilika, die um 390 erbaut wurde, feierte die Gruppe zum Abschluss gemeinsam die heilige Messe und alle waren eingeladen, an der Eucharistiefeier teilzunehmen. „Wir wollen an diesem Ort bitten für die noch nicht geeinte Christenheit und bitten den Herrn, dass er uns den Weg weist“, betete Bischof Timmerevers.
Auch Pfarrer Christian Böck, Direktor des (katholischen) Pilgerzentrums in Rom bestätigte seinen Besuchern: „Unser missionarisches Grundanliegen ist, dass Menschen spirituell wachsen“ und fügte mit einem Lachen hinzu: „Wir schließen keine Konfession aus – das wäre ja Blödsinn.“
Erik Panzig, der für das Pilgern in Sachsen und über Ländergrenzen hinweg wirbt, verriet: „Das war sehr wahrscheinlich nicht unsere letzte gemeinsame ökumenische Pilgerreise.“
In der deutschen katholischen Kirche in Rom gaben die Dresdner Kapellknaben im Päpstlichen Institut St. Maria dell’ Anima anlässlich des 3. Oktobers ein Dankkonzert.
Ökumenische Pilgergruppe erkundet Rom
Ruth Weinhold-Heße
Foto: Ruth Weinhold-Heße
Ein Kess-Kurs hat Nataliya Heletiy-Luka aus Dresden geholfen, ihren eigenen Kindern in der Pubertät ein gutes Gegenüber zu sein. Inzwischen hält sie selbst die Erziehungskurse – auf Ukrainisch. Sie ist begeistert, wie das Leben von Familien dadurch verbessert wird.
Der Weg von Nataliya Heletiy-Luka nach Deutschland war ungewöhnlich. Zunächst machte sie ein Aufbaustudium in Bayern, wollte aber darüber hinaus nicht bleiben. Sie hatte Internationale Wirtschaftsbeziehungen sowie Dolmetschen und Übersetzen studiert und war Dozentin an der Universität in Lviv. Dann aber erhielt ihr Mann – ein griechisch-katholischer Pfarrer aus der Ukraine – den Auftrag, in Ostdeutschland ukrainische Gemeinden zu gründen. Das führte sie zunächst nach Leipzig, später nach Dresden. Über 20 Jahre ist das inzwischen her. 15 Jahre davon war sie hauptsächlich Mutter. Ihre fünf Kinder sind mittlerweile zwischen zwölf und 19 Jahren alt.
„Für mich war es immer wichtig, meine Kinder mit Liebe zu erziehen und ihnen viel Zeit zu widmen“, erzählt sie. „Aber in der Pubertät waren wir ratlos.“ Rat suchten Nataliya Heletiy-Luka und ihr Mann zunächst in Büchern. Schon als Kind erlebte sie die Erziehung in der Sowjetunion als „nicht korrekt“, als zu sehr fokussiert auf Leistung. „Es ging mehr darum, welche Noten wir nach Hause bringen, als darum, wie es uns wirklich geht“, erzählt die 48-Jährige über ihre eigene Kindheit. Ihre zwei als Lehrer arbeitenden Eltern hatten nicht so viel Zeit für die drei Kinder, prägend waren dagegen die langen Ferien bei den Großeltern auf dem Land. „Man hat damals nicht darüber nachgedacht, dass das Kind im Leben glücklich wird“, sagt sie und erklärt, dass, nachdem die Ukraine unabhängig wurde, ihre Eltern manchmal Monate lang keinen Lohn erhielten. Was sie als Jugendliche als Abenteuer erlebte, bereitete ihren Eltern existenzielle Sorgen. Die Landwirtschaft der Großeltern, wo die Enkel mithelfen mussten, war dagegen ein Segen.
Respektvoll mit Kindern und sich selbst umgehen
Eine ganz andere Ausgangslage hatte ihre Familie in Deutschland als ihr erstes Kind in die Pubertät kam. Auseinandersetzungen mit den Eltern, die dann folgten, hätte sich Nataliya Heletiy-Luka selbst nie getraut. Da die Kinder das St. Benno-Gymnasium in Dresden besuchten, lag es nahe, dass das Ehepaar 2020 einen dort angebotenen Kess-Kurs besuchte. Kess steht für kooperativ, ermutigend, sozial und situationsbezogen. Die Kurse sollen Eltern stärken in einem respektvollen Erziehungsstil. Eltern erfahren, welche Grundbedürfnisse Kinder und Jugendliche haben und was ihr Selbstwertgefühl steigert. Mütter und Väter lernen, weshalb Kinder und Jugendliche manche störende Verhaltensweisen zeigen und wie sie darauf reagieren können.
„Ich war sehr begeistert von dem Kurs! Wichtig wurde mir vor allem, dass der respektvolle Umgang mit den Kindern einschließt, dass ich achtsam und respektvoll mit mir selbst umgehe. Befreiend war auch, dass ich bei den wichtigen Dingen bei meinem Standpunkt bleiben kann, aber dem Kind altersentsprechend die Freiheit geben darf, seine eigenen Entscheidungen zu treffen“, erzählt Nataliya Heletiy-Luka. „Nicht jedes Problem des Kindes muss mir gehören, aber ich kann mein Kind bei seinen Problemen unterstützen“, erläutert sie weiter. Dabei sei ihr wichtig, dass der Kess-Kurs keine Methode sei, die man erlerne, sondern ein Blumenstrauß an Anregungen, aus dem man sich aussuchen könne, was zur Familiensituation passe. „Wir alle wollen gute Eltern sein, keine beschließt, eine schlechte Mutter zu sein. Aber oft fehlen uns Informationen“, sagt sie. Es seien die Informationen, die ihr geholfen hätten, die Bedürfnisse ihrer Kinder besser zu verstehen. „Man kommt zum Kurs und will etwas ändern, aber letzten Endes kann man nur sich selbst und seine Einstellung ändern“, so Nataliya Heletiy-Luka.
Ganz praktische Beispiele, die die fünffache Mutter mitgenommen hat aus dem Kurs: „Dass ich Edelsteinmomente bewusst schenke. Einmal kam meine Tochter völlig entmutigt aus der Schule. Dann hat jeder aus unserer Familie gesagt, was besonders toll an ihr ist, was sie gut kann. Durch diese Ermutigungsdusche hat sie sich wieder geliebt gefühlt. Oder wenn die Kinder überfordert sind von Aufgaben, kann man ihnen helfen, die Aufgaben in mehrere kleine Schritte aufzuteilen. So kann ich meinen Kindern helfen, Dinge selbst zu schaffen“, erklärt sie. Auch hätten sie einen Familienrat eingeführt, wodurch die Kinder in Entscheidungen einbezogen werden, lernen, zusammen eine Lösung zu finden, aber auch, sich zu beteiligen. „Sie haben zum Beispiel gelernt, selbst einen Ausflug zu planen.“
Die Ukrainerin war so begeistert von ihrem Besuch bei dem Erziehungskurs, dass sie selbst eine Ausbildung zur Kess-Referentin abschloss. Denn sie sei immer offen, ihren Horizont zu erweitern und neue Menschen kennenzulernen, beschreibt sie sich selbst. Inzwischen bietet Nataliya Heletiy-Luka selbst Kess-Kurse auf Ukrainisch an. Der vierte Kurs ist bereits in Dresden abgeschlossen.
„Kinder in der Pubertät brauchen starke Eltern“
Die Situation von den meist alleinerziehenden Müttern, die vor dem Krieg geflohen sind und in Deutschland mit ihren Kindern in einer völlig neuen Umgebung klarkommen müssen, sei besonders herausfordernd. „Sie haben selbst die sowjetische Erziehung erfahren und wissen nicht, wie sie es anders machen können.“ Am schwierigsten sei es für Mütter mit älteren Kindern, die komplett aus ihren Freundeskreisen herausgerissen wurden, und die sich in Deutschland genauso verhalten wollen, wie andere Teenager in ihrem Alter. „Mein Rat ist: Achtet zuerst auf euch selbst“, sagt Nataliya Heletiy-Luka. „Denn Kinder in der Pubertät brauchen starke Eltern.“ Deshalb ermutigt sie als Kurs-Leiterin die Mütter zuerst, um sie in der Elternrolle zu stärken. „Die Eltern, die an einem ‚KESS‘-Kurs teilnehmen, sind ja Mütter und Väter, die es gut machen wollen, die sich Gedanken darüber machen, was ihnen und ihren Kindern helfen könnte. Deshalb freut es mich, wenn sie im Kurs auch mal lachen, und sich Zeit für sich nehmen, um aufzutanken.“ Nach jeder Einheit gibt Nataliya Heletiy-Luka Hausaufgaben auf, die die Familien ausprobieren können. Sie vergleicht es mit einer Geige: „Man muss das Instrument manchmal nur ein wenig feiner stimmen und es klingt ganz anders“, sagt sie.
An die üblichen fünf Kurstermine, schließt Nataliya Heletiy-Luka eine informelle sechste Einheit an, um mit den Eltern zusammen zu feiern, dass sie den Kurs gemeinsam gemeistert haben.
Bisher hat sie vor allem ukrainische Eltern mit einem christlichen Hintergrund erreicht. Der Glaube stärke auch sie selbst beim Erziehen ihrer Kinder: „Gottes Liebe gibt mir in schwierigen Momenten Halt und ist eine Kraft, die unser Leben in eine gute Richtung führt.“
Kess-Kurse auf Ukrainisch
Johanna Marin
Bild: AdobeStock
Sinkende Einnahmen und Mitgliederzahlen führen auch in der Erfurter Innenstadtpfarrei St. Laurentius zur Überlegung, ob alle sieben Kirchengebäude langfristig gehalten werden können. Nun lud der Kirchenvorstand die Pfarreimitglieder dazu ein, gemeinsam Möglichkeiten, Chancen und die Gestaltung des Abschieds zu diskutieren.
Ein Konzertsaal, eine Kunsthalle, ein Raum der Begegnung – deutschlandweit, aber auch in anderen europäischen Ländern suchen Pfarreien nach neuen Nutzungsideen für ihre Kirchen, weil sie den Erhalt nicht mehr finanzieren können. Für die Gemeindemitglieder ist der Vorgang oft schmerzhaft, sie haben in ihren Kirchen Heimat gefunden. Als Vorreiter im Bistum Erfurt hat der Kirchenvorstand der Pfarrei St. Laurentius die Mitglieder aller Kirchorte eingeladen, gemeinsam über die zukünftige Nutzung der Kirchen zu sprechen. „Wir wollen den Übergang so gestalten, dass es erträglich ist“, sagt Sebastian Ulbrich vom Kirchenvorstand.
Erfurt ist reich an Kirchengebäuden – allein zur Innenstadtpfarrei St. Laurentius gehören sieben. Doch das könne nicht mehr lange so bleiben, sagt Ulbrich. Da Mitglieder schwinden und Raumkosten einen Großteil der Einnahmen verbrauchten, brauche es neue Konzepte, damit der Pfarrei in fünf Jahren nicht das Geld ausgehe. „Wir wollen agieren statt reagieren.“, erklärt er. In öffentlichen Pfarreiversammlungen konnten die Gemeindemitglieder unter dem Thema „7 minus X“ nun die Zukunft ihrer Kirchorte diskutieren und Vorschläge erarbeiten. Dass eine oder mehrere Kirchen umgenutzt oder sogar abgegeben werden müssen, hat der Vorstand bereits festgelegt. Welche Kirche es treffen wird, ist jedoch völlig offen. „Das darf keine rein finanzielle Entscheidung sein“, so Ulbrich, „Wir brauchen ein Gesamtkonzept.“
Die richtigen Fragen stellen
Die Gemeinde darf und will sich aktiv an dem Wandel beteiligen. In Kleingruppen überlegten sie: Welche (Um-)Nutzungsideen gibt es für die einzelnen Kirchen? Nach welchen Kriterien kann entschieden werden, welche der Kirchen anderweitig genutzt werden müssen? Wie können Abschied und Übergang gestaltet werden?
Die Optionen für die Nutzung der Kirchen sind vielfältig: Weiter machen wie bisher und die laufenden Kosten in Kauf nehmen. Den Raum an eine andere christliche Gemeinschaft abgeben und die Kirche so als Gotteshaus aufrechterhalten. Auch die Profanierung, bei der eine Kirche entweiht und für weltliche Zwecke genutzt wird, steht im Raum.
In der Diskussion zwischen den Teilnehmern zeichnete sich ab, dass es ein ganzes Gefüge von Kriterien braucht, um zu entscheiden, welche Kirchen die Pfarrei nicht halten kann. Es muss im Zusammenhang miteinander betrachtet werden, nicht als Konkurrenz: Wie vital ist das Gemeindeleben, welchen historischen und ästhetischen Wert hat das Gebäude, steht es unter Denkmalschutz? Wie attraktiv ist der Kirchort für junge Menschen, wie viel kostet der Erhalt und nicht zuletzt: Wo ist die Kirche innerhalb der Stadt verortet und wo wäre der nächste Ort für einen Gottesdienst?
Die Angst vorm Abschied von der eigenen Kirchengemeinde war in den Diskussionen hörbar. In den Wortmeldungen wurde auch deutlich, wie sehr ein Kirchort Heimat sein kann. Eine Kirche ist eben nicht nur ein Gebäude und so wurde in den Pausen auch Skepsis am Vorgehen des Kirchenvorstands geäußert. Viele Stimmen fragten, ob man nicht doch alle Kirchorte retten könne, wenn man nur wirklich wolle. Allerdings gab Michael Neudert, Priester in St. Laurentius, zu bedenken, dass man die Situation mit christlichem Realitätssinn betrachten solle. Und so kam auch aus dem Plenum die Aussage: „Wir dürfen den Kirchenvorstand mit dieser Entscheidung nicht alleine lassen!“ - auch wenn der Abschied weh tut.
Erfurter Innenstadtpfarrei berät über Kirchenschließungen
Michael Burkner
Foto: Matthias Wehnert
Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert war Festredner beim diesjährigen Hedwigsempfang des Bistums Görlitz.
Als „ganz besonders“ bezeichnete der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt den Hedwigsempfang Mitte Oktober, jährt sich doch der Geburtstag der Bistumsheiligen zum 850. Mal. Als Jubiläumsredner war der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Gast.
„Ich freue mich über die Einladung nach Görlitz, das ich übrigens als sehr lebendig in Erinnerung habe“, beginnt Norbert Lammert seine Rede mit einem Augenzwinkern. Dabei bezieht er sich auf die musikalische Einleitung der Veranstaltung mit Musik aus der Oper „Die tote Stadt“. Lachen erfüllt das gut besetzte Gerhard-Hauptmann-Theater. Danach wird es ernster. „Politik, Kultur und Religion: Was hält eine Gesellschaft zusammen?“ lautet der Titel des Empfangs. Lammert, der von 2005 bis 2017 dem Deutschen Bundestag als Präsident vorstand, richtet seinen Blick dabei besonders auf Entwicklungen der Gegenwart: Weniger Homogenität, mehr Vielfalt und zugleich eine wachsende Betonung der eigenen Bedürfnisse gegenüber denen der Gemeinschaft – da stellt er sich und dem Publikum die Frage: Benötigt die Gesellschaft ein Mindestmaß an Gemeinsamkeiten? Er selbst bejaht und erntet dabei Zustimmung: „In Görlitz haben wir noch diese gemeinsamen Identitäten, die uns zusammenschweißen, egal ob als Görlitzer, als Ostdeutsche oder auch ganz ökumenisch als Christen“, sagt beispielsweise Ulf Hüttig. Der Rechtsanwalt, der sich im evangelischen Gemeindekirchenrat engagiert, ergänzt: „Besonders wir Christen, die seit langem eine Minderheit hier sind, spüren diesen Zusammenhalt – selbst bei unterschiedlichen Auffassungen.“ Die Basis der Gemeinsamkeiten würde die Integration neuer Bürger erleichtern, so würde das Zusammenleben in Vielfalt noch gut funktionieren. Annemarie Franke, Kultursekretärin des Kulturraums Oberlausitz-Niederschlesien, sieht das ähnlich, betont die Bedeutung der Kultur als verbindendes Element, äußert aber auch Befürchtungen: „Wenn immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Stadt leben und Gemeinsamkeiten weniger werden, wird es schwierig, eine gelungene Integration zu leisten.“
Auch das Verhältnis zwischen Religion und Politik kommt in Lammerts Rede nicht zu kurz. „Beide erheben Gestaltungsansprüche in der Gesellschaft“, sagt der 75-Jährige und erklärt, warum Kirche und Staat in Deutschland kaum zu trennen seien: Schon das Grundgesetz sei „eine Brücke zwischen Himmel und Erde“, beginnt es doch mit den Worten „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (…) hat sich das Deutsche Volk (…) dieses Grundgesetz gegeben“. Kirche habe ebenso wie der politische Wettbewerb unendliches Potenzial – zum Konflikt ebenso wie zur Versöhnung, die heilige Hedwig habe ein lebendiges Beispiel dafür gegeben. Dies ist für Lammert brandaktuell: „In Westeuropa trügt uns der Schein einer mehr und mehr säkularen Welt, denn noch nie waren so viele Menschen weltweit in irgendeiner Weise religiös gebunden wie heute und keine Religionsgemeinschaft wird mehr verfolgt als die Christen.“ Als „Aufruf an die Religion, diesen Beitrag zur Versöhnung wieder mehr zu leisten“ versteht Besucherin Sabine Blaffner Lammerts Worte und lobt: „Er hat vieles gut erklärt und mich sehr zum Nachdenken angeregt.“
Sie und die anderen Anwesenden haben gleich im Anschluss an die Rede die Möglichkeit, die eigenen Standpunkte beim Sektempfang zu teilen. Ein lautes Stimmengewirr erfüllt das Foyer, Meinungen und Gedanken werden lebhaft ausgetauscht und es wird deutlich: Görlitz ist eine lebendige Stadt.
Norbert Lammert beim Hedwigsempfang des Bistums Görlitz
Angela Degenhardt
Wenn riesige Container- oder Kreuzfahrtschiffe den Kurs ändern oder im Hafen anlegen wollen, braucht es Weitblick. Die Trägheit der großen Masse, einmal in Bewegung, macht es schwierig, mal eben eine Wende oder gar ein Mann-über-Bord-Manöver zu fahren. Im Hafen kommen meist kleine wendige Schlepper zu Hilfe.
Angela Degenhardt Gemeindereferentin Pastoralregion Burgenlandkreis (Naumburg-Weißenfels-Zeitz)
Umso überraschter war ich im Sommer beim Beobachten der Hafenmanöver von (zugegeben kleineren) Fähren mit nur einer Ladeluke. Sie müssen beim An- und Ablegen immer um 180° wenden und zwar auf engstem Raum. Faszinierend, wie schnell das ging, ermöglicht durch Seitenstrahlruder, die allerdings nur bei den niedrigen Geschwindigkeiten im Hafen wirksam sind.
Auch große Organisationen, ob Konzern, demokratischer Staat oder Kirche, kennen das: Es ist sehr schwierig, den Kurs zu ändern. Notwendiger Meinungsstreit, widerstreitende Interessen, mühsames Aushandeln von Kompromissen, aber auch vertraute Routinen, die Macht von Gewohnheiten und liebgewordenen Traditionen, dazu der berechtigte Wunsch, Gutes zu bewahren – all das macht notwendige Kursänderungen schwierig und langwierig. Manchmal dauert uns vieles zu lange und scheint hoffnungslos.
Erfahrung mit Ozeanriesen hat Jesus nun nicht. Mit stürmischen Verhältnissen aber schon. Wer mit ihm unterwegs ist, erfährt, dass aufgewühlte Wellen zur Ruhe kommen, dass Dinge anders ausgehen können, als „wie es immer war“ und dass daraus neue Lebensmöglichkeiten entstehen.
Anstoß 28/2024