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Leo Nowak
Bildrechte / Quelle: Bistum Magdeburg, Pressestelle, presse@bistum-magdeburg.de, 0391-5961134

"Wir brauchen die Erneuerung"

Interview mit Alt-Bischof Leo Nowak zum 95. Geburtstag

Lieber Alt-Bischof Leo. Wie geht es Ihnen damit, dass Sie nun schon 95 Jahre alt werden?

Alt-Bischof Leo: Ich wundere mich und staune beinahe an jedem neuen Tag, dass ich so alt und einigermaßen gesund bin. Staunen und sich-wundern-können ist eine Reaktion auf das Geheimnis des Lebens. Kein Mensch kann ergründen, wieso, warum und weshalb er auf dieser schrecklich schönen Welt lebt. „Wir leben eine verdankte Existenz“, hat der bekannte Theologe Karl Rahner gesagt. Da kann ich nur zustimmen.

Wie sieht Ihr Alltag heute aus?

Alt-Bischof Leo: Ich versuche, meinen Alltag zu strukturieren. Es ist eine neue Erfahrung, dass ich jetzt freier bin, um über mein Tun und Lassen selbst zu entscheiden. Ich muss nicht, aber ich kann dieses oder jenes tun oder eben auch nicht. Soweit möglich, informiere ich mich über kirchliche und öffentliche Nachrichten. Gebet und Gottesdienst kann ich in Ruhe nachgehen. Aber alles geht langsamer. Und die Arzttermine nehmen deutlich zu.    

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie sich entschieden haben, Priester zu werden?

Alt-Bischof Leo: Es sind vor allem zwei Gründe, die mehr oder weniger eine Rolle gespielt haben: Ich war als Jugendlicher selbst aktiv in der Pfarrgemeinde engagiert. Besonders ein Vikar hat uns damals sehr imponiert. Er war als Soldat Kriegsteilnehmer und konnte mit uns Jugendlichen sehr gut umgehen. Inzwischen war der zweite Weltkrieg zu Ende. Sollte jetzt nach der braunen Diktatur des Nationalsozialismus eine neue Ideologie nach rotem Muster der Sowjetunion unser Land und die Menschen ‚beglücken?‘ Das kann doch wohl nicht wahr sein, so dachte ich. Jesus Christus und seine Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes schien mir die Alternative zu sein. Ich wollte helfen, dass diese Botschaft möglichst viele Menschen erreicht. Dafür wollte ich mich einsetzen und Priester werden.

Wie haben Sie die DDR-Zeit als katholischer Priester erlebt?

Alt-Bischof Leo: Die DDR-Regierung versuchte stets und ständig, Kirche und Staat zu trennen. Die Kirchen sollten ihre Gottesdienste in der Kirche durchführen. In Gesellschaft und Öffentlichkeit aber war allein die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) zuständig. Besonders der Einfluss der Kirchen auf Kinder und Jugendliche sollte verhindert werden. Das führte immer wieder zu Konflikten. Dennoch führten wir in den Ferien sogenannte religiöse Kinderwochen und Campinglager mit Jugendlichen durch, die alle insgesamt einer staatlichen Genehmigung bedurften, die wir natürlich nicht hatten.

Baugenehmigungen für kirchliche Objekte, sogar Neubau von Kirchen wurden nur deshalb genehmigt, weil Planung und Ausführung einschließlich Baumaterial mit ‚Westgeld‘ bezahlt wurden. Mehrere Male habe ich Ferienfreizeiten und Bauvorhaben ohne staatliche Genehmigung durchgeführt und bin ‚mit einem blauen Auge‘ unbestraft davongekommen. Nicht zuletzt wurde ich wegen solcher verbotenen Aktivitäten immer wieder versetzt.

Viele Christen waren froh und dankbar, dass sie in Familienkreisen, theologischer Erwachsenenbildung oder Pfarrgemeinderäten frei und offen reden konnten. Die Gottesdienste waren gut besucht und der freiwillige Religionsunterricht am Nachmittag war für aktive Katholiken selbstverständlich. Staatlicherseits wurde Druck ausgeübt und mit Verlust von Studienplätzen gedroht, wenn Heranwachsende nicht an der ‚Jugendweihe‘ teilnahmen.

Wie haben Sie die Wende erlebt?

Alt-Bischof Leo: Das war ein Tag der Freude und des Jubels. Die verhasste Mauer war weg. Das war kaum zu glauben. Das wollte ich unbedingt sehen. Mit einem Freund fuhr ich nach Marienborn, um zu sehen ‚was sich da getan hat!‘  Nicht zu fassen: Kein Halt auf der Autobahn in Marienborn. Freie Fahrt nach Helmstedt: Hin und zurück! Überall jubelnde Menschen. Blumen und Freudentränen! Und immer wieder der Gedanke: Das kann doch nicht wahr sein! Etliche sprachen von einem Wunder! Damit hatten wir nun wirklich nicht gerechnet.

Wie haben Sie 1994 den Neuanfang des Bistums Magdeburg erlebt und gestaltet?

Alt-Bischof Leo: Bei aller Freude über die Einheit wurde schnell deutlich, dass für uns nun auch die Gesetze und Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland gelten. Das betraf auch die kirchlichen Möglichkeiten wie Religionsunterricht an den Schulen, Militärseelsorge, Pressearbeit u.a. Was war zu tun, was war zu lassen? Fachleute aus dem Westen waren willkommen. Viele Vertreter/innen und Fachleute boten ihre Hilfe an. Das war gut gemeint, aber manchmal auch schwierig, denn unsere Diasporasituation entsprach ja überhaupt nicht den Verhältnissen der Anzahl der Katholiken in den katholischen Bundesländern. Ich erinnere mich gut an einen Vertreter, der uns in guter Absicht unterstützen und unbedingt seinen Fachverband bei uns gründen wollte. Als ich ihm die Frage stellte, wie wir mit zwei Katholiken fünf kirchliche Verbände gründen sollen, war das Gespräch zu Ende.

Für mich als gerade erst ernannter Bischof in einer auch politisch völlig neuen Situation stand nun auch noch die Frage nach der Zukunft des ‚Bischöflichen Amtes Magdeburg‘ zur Disposition. Ich habe alle Gemeinden angeschrieben und gefragt, ob Magdeburg ein selbständiges Bistum werden soll oder, wieder wie früher, ein Anteil des Erzbistums Paderborn. Die Antwort war beinahe eine Pattsituation. Eine knappe Mehrheit war für Eigenständigkeit. In einer Sondersitzung mit allen Dechanten, Mitgliedern des Priesterrates und des Geistlichen Rates haben wir nach einigen Wochen nochmals alle Argumente Pro und Contra ausgetauscht. Das Ergebnis war schließlich für ein eigenes Bistum Magdeburg. Am 9. Oktober 1994 wurde dann das Bistum Magdeburg wiedererrichtet. ‚Um Gottes und der Menschen willen‘, wählten wir als Leitspruch.

Erwähnenswert ist die Durchführung unseres sogenannten ‚Pastoralen Zukunftsgespräches (PZG)‘, das noch vor meiner Emeritierung in den Jahren 2000-2004 stattfand. Ich verfasste einen Aufruf zu einem bistumsweiten Gespräch. Die Gemeinden wurden aufgefordert, ihre Anliegen, Fragen und Vorschläge, aber auch ihre Sorgen und Nöte für eine Neuorientierung des kirchlichen Lebens in unserem Bistum einzureichen. Mehr als 700 Eingaben mussten ausgewertet und nach Themen zusammengefasst werden.  Am 7. Februar 2004 konnte ich neun Dokumente des PZG bestätigen und in Kraft setzen. Unwillkürlich werde ich damit daran erinnert, dass die Kirche in unserem Land sowie auf der ganzen Welt von Papst Franziskus aufgerufen ist, eine synodale Kirche zu sein bzw. zu werden.            

Wie bewerten Sie die aktuelle Krise der katholischen Kirche – Missbrauch, Mitgliederschwund?

Alt-Bischof Leo: Wir brauchen Reform und Erneuerung. Die vielen Missbrauchsfälle sind der Anlass zu einer weltweiten Besinnung. Das bekannte Wort ‘ecclesia semper reformanda‘ (die Kirche muss sich ständig erneuern) ist besonders aktuell. Es gilt aber auch die Bitte: ‚Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an!‘ Und auch das Gebot ’Du sollst Gott lieben mit all deinen Kräften und den Nächsten wie dich selbst‘ ist ein einziger Aufruf zur Umkehr und Erneuerung.

Glaubwürdigkeit zurückgewinnen ist das Gebot der Stunde. Dafür ist eine große Sensibilität für Echtheit und Vertrauen erforderlich. Manche Verhaltensweisen der Kirche sind für die Menschen von heute einfach nicht mehr nachzuvollziehen. Die religiöse Sprache stößt vielfach auf Unverständnis. ‚Pflichtzölibat‘ oder das Verbot der Weihe für Frauen zu Diakonen und Priestern stoßen auf Unverständnis, weil die Gleichberechtigung für Frauen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit eine große Rolle spielt. Der sogenannte ‚synodale Weg‘ ist auch deshalb eine hoffnungsvolle Initiative. Wir brauchen die Erneuerung!

Wie bewerten Sie die aktuellen politischen Debatten um das Verhältnis von Kirche und AFD/Rechtsextremismus?

Alt-Bischof Leo: Die deutsche Bischofskonferenz hat unlängst klar und deutlich Stellung bezogen. Diese Partei kann aus christlicher Sicht nicht gewählt werden, weil sie ein Menschenbild verbreitet, das für Christen unannehmbar ist. Dieser Entscheidung stimme ich zu.

Was möchten Sie in Ihrem Leben noch erleben?

Alt-Bischof Leo: Dass die Welt und die einzelnen Völker in Frieden miteinander leben. Dass die Kirche wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt und das Evangelium von der bedingungslosen Liebe Gottes sich selbst zu eigen macht.                                          

Herzlichen Dank!

Das Gespräch führte Anja Schlender für das Bistum Magdeburg.

Hier sehen Sie ein Video-Interview mit Alt-Bischof Leo aus dem Jahr 2023 mit Eulenspiegel-Multimedia

Foto: Anja Schlender

Quelle: Bistum Magdeburg, Pressestelle, presse@bistum-magdeburg.de

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