Predigt von Bischof Feige zu Epiphanie
Magdeburg (pbm) - Bischof Gerhard Feige hat zum Fest Epiphanie seine Kritik an den Pegida-Demonstrationen bekräftigt. Deren Parolen seien "mit der jüdisch-christlichen Überlieferung nicht vereinbar", sagte er in einem Gottesdienst zum Dreikönigsfest. "Sie verletzen genau das, was angeblich gerettet werden soll: eine Kultur, in der Nächstenliebe, Respekt und Schutz von Fremden einen zentralen Stellenwert haben", betonte Feige. Nachfolgend dokumentieren wir die Predigt:
Kein „Stammesgott“
In den letzten Wochen hört man mancherorts montags wieder den Ruf „Wir sind das Volk!“ Anders als vor 25 Jahren ist das aber nicht ein Ruf nach Freiheit und demokratischer Mitbestimmung, nicht der Ausdruck dafür, selbst Verantwortung für das gesellschaftliche Leben übernehmen zu wollen. „Wir sind das Volk!“ bedeutet hierbei vielmehr: „Ihr gehört nicht zu uns! Wir wollen euch nicht bei uns haben, weil ihr eine andere Religion, eine andere Kultur, eine andere Hautfarbe habt!“ Nach außen hin erklären die Anhänger solcher Parolen, dass es ihnen darum gehe, das jüdisch-christliche Abendland zu verteidigen. Dahinter stehen aber letztlich nichts anderes als Vorurteile und Angst: Angst, „überfremdet“ zu werden, Angst vor der Zukunft und die Angst, selbst zu kurz zu kommen.
Nun ist es sicher klug, hinzuhören, was die Menschen bewegt und ihnen Sorgen bereitet. Als Kirche ist es aber vor allem auch unsere Aufgabe, laut und deutlich zu sagen, dass Parolen dieser Art mit der jüdisch-christlichen Überlieferung nicht vereinbar sind. Sie verletzen genau das, was angeblich gerettet werden soll: eine Kultur, in der Nächstenliebe, Respekt und Schutz von Fremden einen zentralen Stellenwert haben. Sie verkennen, dass der Gott Israels und der Gott Jesu Christi kein „Stammesgott“ oder „Nationalmythos“ ist. Er ist vielmehr aller Welt erschienen.
Schon das alte Israel ist immer tiefer zu dieser Wahrheit geführt worden. So sehr es sich als das auserwählte Volk Jahwes verstanden hat, so sehr ist ihm auch bewusst geworden, dass dieser Gott ein Gott für alle Menschen ist. „Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis ans Ende der Erde reicht“ (Jes 49, 6). In dieser Verheißung aus dem zweiten Gottesknechtslied bei Jesaja hat schon Israel seine Berufung erkannt. Für uns Christen hat sich diese Berufung in Jesus Christus vollendet. In ihm zeigt sich einmalig und unwiderruflich, was Gott mit uns Menschen vorhat: Er will, dass alle Menschen ohne Unterschied gerettet werden, dass sie einbezogen sind in das große Fest der Liebe. So schreibt auch Papst Benedikt: „Weil aber Gott alle Völker in Christus zu sich rufen und ihnen die Fülle seiner Offenbarung und seiner Liebe mitteilen will, hört er nicht auf, sich auf vielfältige Weise gegenwärtig zu machen“ („Dominus Jesus“, 8).
Weite statt Enge: ein Markenzeichen des Christentums
Am heutigen Festtag wird uns dies wieder eindrücklich vor Augen geführt. Gott hat die Sterndeuter aus dem Osten offenbar so berührt, dass sie aufgebrochen sind, um das neugeborene Kind zu suchen. In ihm haben sie die ganze Fülle Gottes erkannt.
Das will der Evangelist Matthäus seiner judenchristlichen Gemeinde vor Augen führen. Gott spricht zu allen Menschen und lädt sie ein, ihn zu suchen und zu finden. Alle haben „an derselben Verheißung in Christus Jesus teil“, wie wir vorhin in der Lesung aus dem Epheserbrief gehört haben (Eph 3,6).
Von Anfang an geht es also darum, den Kreis derer, die zu Christus gehören, nicht zu eng zu ziehen. Im Gegenteil: „Nicht Enge ist das Markenzeichen <des Christentums>, sondern Weite“ (Ulrich Behlau). Das heißt aber nicht, dass das immer selbstverständlich war und ist. Es gibt Untersuchungen, in denen man herausgefunden hat, dass gerade auch Christen – und darunter sogar vor allem katholische Christen! – dazu neigen, misstrauisch auf Fremde zu schauen und sich von ihnen abzugrenzen.
So heißt es in einer Geschichte, dass ein Afroamerikaner einmal wünschte, „in eine New Yorker Gemeinde aufgenommen zu werden. Der Pfarrer war reserviert. „Tja", sagte er schließlich, „ich bin nicht sicher, Mr. Jones, ob es unseren Gemeindegliedern recht wäre. Ich schlage vor, Sie gehen erst einmal wieder nach Hause und beten und warten ab, was Ihnen der Allmächtige dazu zu sagen hat." Einige Tage später kam Mr. Jones wieder. „Ich habe Ihren Rat befolgt", sagte er zum Pfarrer. „Ich sprach mit Gott über die Sache, und er antwortete mir: ‚Mr. Jones, sagte er, bedenke, dass es sich um eine sehr exklusive Kirchengemeinde handelt. Du wirst wahrscheinlich nicht hineinkommen. Ich selbst versuche es schon seit vielen Jahren, und bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen" (W. Hoffsümmer).
Und wie sieht das bei uns aus, liebe Schwestern und Brüder? Wie sieht das z.B. ganz konkret in der Kathedralpfarrei St. Sebastian aus? Gelingt es Gott hier – um mit den Worten dieser Geschichte zu sprechen – hineinzukommen? Gelingt es ihm, in Gestalt von Menschen hineinzukommen, die weder deutsch noch „magdeburgisch“ und erst recht keine angestammten „Sebastianer“ sind?
In der Jahresschlussandacht habe ich vom Dompropst eine eindrückliche Statistik gehört: von den rund 4000 Mitgliedern der Pfarrei sind 1000 nicht hier geboren, sondern im Lauf ihres Lebens zugewandert, und zwar aus 63 verschiedenen Nationen dieser Erde! Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Allein unsere Kathedralpfarrei spiegelt demnach im Grunde wieder, wie sehr die Kirche von Anfang an international war, wie sehr diese Weite tatsächlich ihr Markenzeichen ist.
Das gehört zum Fundament unseres Glaubens. Es geht um einen Gott, der sich weder auf ein Volk, noch auf eine Kultur noch auf bestimmte religiöse Traditionen festlegen lässt, einen Gott, der sich von Anfang an als jemand offenbart hat, der gerade auch um die Fremden wirbt.
Dialog mit anderen Religionen
Was bedeutet das nun aber für unser Verhältnis zu anderen Religionen? Der Ruf „Wir sind das Volk!“ hängt ja vor allem mit der Angst zusammen, vom Islam „überfremdet“ zu werden.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns hier einige Wegmarken an die Hand gegeben. In der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen heißt es z.B.: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selbst für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“. (NA 2). Diese grundlegende Wertschätzung ist das Fundament eines echten interreligiösen Dialogs. Zu diesem Dialog gehört die Bereitschaft, einander kennenzulernen und gegenseitige Vorurteile abzubauen. Zu diesem Dialog gehört es auch, miteinander danach zu suchen, wie wir unsere Gesellschaft so gestalten können, dass Menschen in Frieden und Freiheit leben können.
Für uns Christen gehört zum Dialog mit nichtchristlichen Religionen aber auch die Eindeutigkeit unseres Glaubens. Christus ist für uns nicht ein Religionsstifter unter anderen. Er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) für alle Menschen. In ihm ist Gott allen Menschen erschienen. Diese unsere Überzeugung will andere nicht vereinnahmen, sondern ihnen eine Hoffnung anbieten, die alles übersteigt, was sie kennen.
Gerade weil wir davon überzeugt sind, dass Gott ein Gott aller Völker ist, ist es unsere Aufgabe, dieses universale Heilsangebot immer wieder ins Gespräch zu bringen. Recht verstanden, macht gerade dies unsere missionarische Berufung aus. Andere in ihrer Freiheit und Eigenständigkeit zu respektieren, muss nicht heißen, die eigene Wahrheit zu verschweigen – und umgekehrt: Die christliche Gottesvorstellung und Weltdeutung als richtig anzusehen und zu lieben, muss nicht bedeuten, andere Wege zu verachten und zu hassen.
Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern heute das Fest der Erscheinung des Herrn. Gott ist in Jesus Christus aller Welt erschienen. Niemand kann seitdem für sich beanspruchen, sein einziges Volk zu sein. Öffnen wir uns dieser Weite Gottes und öffnen wir uns darin denen, die zu uns kommen. Feiern wir miteinander das Fest des Lebens und teilen wir miteinander den Reichtum, den Gott uns jeweils geschenkt hat.