Predigt zum Osterfest
Warum hat es die Hoffnung so schwer?
„Warum hat es die Hoffnung derzeit eigentlich so schwer?“ So hat mich vor wenigen Tagen ein Journalist anlässlich des Osterfestes und seiner Botschaft gefragt. Wenn man auf unsere aktuelle Situation schaut, scheint die Antwort auf der Hand zu liegen. Der islamistische Terrorismus mit seinen verheerenden Folgen im Nahen Osten, Afrika und anderswo, die weltweit zunehmende Bedrohung durch Anschläge, der Konflikt um die Ukraine und Russland, die europäischen Wirtschafts- und Währungsprobleme, der Ansturm von Flüchtlingen und mancher irrationale Widerstand gegen ihre Aufnahme, der tragische Flugzeugabsturz der vorletzten Woche, verschiedene Naturkatastrophen, aber auch der Abwärtstrend der demographischen Entwicklung in weiten Teilen unserer Region lösen bei vielen – bewusst oder unbewusst – tiefe Ängste aus. Viele sind der Meinung, wer heute eine Hoffnung habe, müsse ein Tor sein oder ein Träumer oder aber ein Verzweifelter: ein Tor, der nicht sieht, was kommt; ein Träumer, der Wünsche für Wirklichkeiten hält; ein Verzweifelter, der seine Angst mit farbigen Bildern übermalen muss.
Doch, war das jemals anders? Hat es die Hoffnung schon irgendwann einmal leichter gehabt? Ist sie nicht zu jeder Zeit und unter allen Umständen eine Zumutung? Zeigt sich das nicht schon bei unseren mehr oder weniger kleinen bzw. großen Wünschen und Erwartungen? Da hofft ein Schüler z.B., dass die Klausur gut läuft. Da hofft eine Jugendliche, dass sie nach dem Schulabschluss eine Arbeitsstelle findet. Da hoffen Paare, dass ihre Ehe halten wird. Da hofft jemand, wieder gesund zu werden. Hinter solchen Hoffnungen steht natürlich immer der Wunsch, dass sich das, was erhofft wird, auch erfüllen möge. Was ist aber, wenn das nicht eintritt: wenn eine Beziehung trotz aller Bemühungen zerbricht, wenn ein Kranker doch nicht gesund wird, wenn das, woran man geglaubt hat, sich plötzlich als Illusion erweist? Woran kann man sich dann noch halten?
Ja, die Hoffnung hat es tatsächlich schwer. Oftmals spricht eigentlich alles gegen sie. Kann man ohne Hoffnung aber überhaupt leben, kann man ohne sie die Gegenwart auf Dauer aushalten? Brauchen wir nicht sogar den Glauben an das Unglaubliche, damit möglich werden kann, was normalerweise als unmöglich erscheint? Wie könnte es sonst nur irgendeinen Fortschritt oder eine Verbesserung geben? Fehlte uns dann nicht der Elan und die Kraft, sich für eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse einzusetzen und notfalls sogar dafür zu kämpfen? Würden wir nicht stattdessen eher resigniert dahinvegetieren, uns vielleicht zynisch behaupten oder schließlich ganz verzweifeln? Ohne jegliche Hoffnung scheint man also nur schwer oder gar nicht leben zu können. Wie aber entsteht Hoffnung? Woher kommt sie? Wie kann man sie finden?
An das Unglaubliche glauben
Nun, eine Voraussetzung für sie besteht schon einmal darin, dass die Zukunft nicht unweigerlich festgeschrieben, sondern vielmehr grundsätzlich offen ist. Geschichte kennt keine Notwendigkeit. Immer kann etwas noch ganz anders kommen als befürchtet, erwartet oder geplant. Auch wenn wir oftmals den Eindruck haben, wir drehten uns wie in einem Hamsterrad, alles sei nur eine ständige Wiederkehr in einem ewigen Kreislauf, erleben wir doch durchaus auch echte Überraschungen und wirklich „Neues unter der Sonne“. Setzt damit aber nicht unwillkürlich so etwas wie Hoffnung ein, letztendlich sogar Hoffnung auf einen guten Ausgang und kein schreckliches Ende?
Aber auch die Erinnerung kann Hoffnung wecken oder beflügeln: die Erinnerung an eigene Erlebnisse oder die Erfahrungen früherer Generationen, an Höhen und Tiefen, Schicksalsschläge und Glücksmomente, Erfolge und Versagen, besonders aber an die Überwindung von Krisen, an Aufbrüche und Neuanfänge. Wisst Ihr noch, – so habe ich es manchmal von Älteren gehört – damals im Krieg, nach der Vertreibung oder auf der Flucht, wie wir fast nichts zu essen hatten und frieren mussten und dennoch überlebt haben?! Und von anderen: Wir waren damals viele Geschwister und konnten uns nur wenig leisten, und doch ist aus uns allen etwas geworden. Und selbst bleibt mir als ehemaligem DDR-Bürger unvergesslich, wie auch vor 1989 Menschen Zivilcourage bewiesen haben und wie ich mir trotzdem noch kurz vor dem Mauerfall nicht vorstellen konnte, dass unser Dasein hinterm Zaun bald ein Ende haben würde. Dann aber geschah Unvorstellbares.
Zur Hoffnung anregen kann darüber hinaus oder vor allem aber auch die Erinnerung an die biblische Geschichte vom Unheil der Menschheit und vom Heilshandeln Gottes. Gerade zu Ostern werden wir dabei mit Beispielen konfrontiert, die in besonderer Weise zum Ausdruck bringen, wie das Unwahrscheinliche über das Wahrscheinliche triumphiert. Da hören wir von Unrecht und Leid, von Lüge und Verrat, von Zerstörung und Tod, zugleich aber auch von denen, die all das zu erdulden hatten, die sich jedoch nicht entmutigen ließen und die letztlich sogar befreit und erlöst wurden. Es sind Erzählungen, die sich dem Gedächtnis der Menschheit eingeprägt haben, Erzählungen, aus denen sich schöpfen lässt, in lichten wie in finsteren Zeiten. Die erste von ihnen, aus dem Buch Exodus, berichtet vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Für die Juden ist dieses Ereignis konstitutiv und Anlass ihres jährlichen Pessachfestes. Auch für uns Christen hat es eine große Bedeutung; in jeder Osternacht ist davon zu hören. Gegen alle Erwartung – so überliefert es die Tradition – gelingt dem unterdrückten Volk Israel die Flucht aus der Knechtschaft. Inmitten des Unheils geschieht Heil, führt Gott sein Volk in die Freiheit. Daran Jahr für Jahr zu erinnern, diese Erfahrung von Generation zu Generation weiterzugeben, regt an und macht Mut, vertrauensvoller zu leben. Ebenso ist es mit den beeindruckenden Erzählungen und der österlichen Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi. Tot ist eigentlich tot; da kann man höchstens noch den Leichnam salben und das Grab verschließen. Stattdessen machen die Jünger Jesu und einige Frauen aber die unglaubliche Erfahrung, dass der Gekreuzigte auferweckt wurde und das Leben stärker ist als der Tod.
Es gibt also durchaus Gründe, sich nicht mit dem abzufinden, wie es ist und angeblich immer bleiben wird. An das Unglaubliche zu glauben, ist auch in unserer Zeit möglich. Ja, wir brauchen über unsere gewöhnlichen Vorstellungen hinaus sogar den Glauben an das Unglaubliche. Wir brauchen die Hoffnung, die unseren Horizont übersteigt. Wir brauchen ein Vertrauen auf – wie es der Philosoph Ernst Bloch nennt – das „Noch-Nicht“, wir brauchen das „Prinzip Hoffnung“. Denn nur so kann auch wirklich Veränderung geschehen, kann Unfreiheit und Knechtschaft überwunden und unser bisweilen enger Horizont überschritten werden.
„Kleiner Funke Hoffnung…“
Ja, ohne Hoffnung wäre unsere Existenz trostlos, könnten wir nicht sinnvoll leben. Aber sie fällt uns eben nicht einfach so in den Schoß. Unser Leben ist – wie der tschechische Priester und Religionsphilosoph Tomáŝ Halik einmal geschrieben hat – „eine permanente Prüfung im Fach Hoffnung“. Denn eine „Hoffnung …, die man schon erfüllt sieht, ist“ – wie es im Brief des Apostels Paulus an die Römer (Röm 8, 24) heißt – keine Hoffnung“. Um den „kleinen Funken Hoffnung“ zu schützen und zu nähren, braucht es Geduld, Vertrauen und Wachsamkeit, ist es – wie Halik darüber hinaus sagt – wichtig, „die Hoffnung wie eine kleine Flamme im Sturm zu pflegen, zu behüten und zu schützen, vor der Versuchung der Hoffnungslosigkeit, gleichzeitig aber auch vor ihrer Verderbnis, vor ihrer Verfälschung, vor dem, was ein falscher Ersatz für sie wäre: die Illusion, die Projektion unserer Wünsche, utopische Versprechungen oder ein naiver Optimismus…“. Wem das gelingt, sich weder der Hoffnungslosigkeit noch einem naiven Optimismus hinzugeben, stattdessen aber seine Sehnsucht wach zu halten, wird – so meine ich – auch ansprechbar sein für die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi.
Ja, die Hoffnung hat es immer schon schwer gehabt, nicht erst in unserer Zeit, in der so vieles uns mutlos machen könnte. Doch die Zeugen und Zeuginnen der Auferstehung Jesu Christi und viele andere Männer und Frauen in der Geschichte der Kirche laden uns ein, die Hoffnung zu wagen und auf das Unglaubliche zu setzen. Letztendlich ist die Hoffnung jedoch ein Geschenk Gottes. Er selbst kommt uns darin entgegen, damit wir nicht ins Leere laufen. Darum ist Hoffnung zutiefst auch ein Beziehungswort. Es ist die Ausrichtung auf ein Du, das immer größer sein wird als alles, was wir kennen und wissen, ein Du, das uns manchmal geheimnisvoll und dunkel erscheinen mag, ein Du aber, dessen Liebe wir trauen können.
Früher – so heißt es in einer trefflichen Beschreibung – lebten die Menschen „40 Jahre plus ewig“, heute leben sie „nur noch 90 Jahre“. Ist man ohne die Erwartung, über den Tod hinaus eine Zukunft zu haben, aber glücklicher und zufriedener? Oder anders gefragt: Schadet es, eine Aussicht bzw. Hoffnung auf Vollendung zu haben? „Menschen“ – so hat es jemand (Stephan Holthaus) einmal formuliert – „die an die Ewigkeit glauben, können gelassener sein. Sie leben vom Ziel her. Die Perspektive der Ewigkeit nimmt Druck von der Zeit.“ Man kann auch sagen: Wer ein „wohin“ und „wozu“ hat, verkraftet auch fast jedes „wie“. Von daher ist der österliche Glaube an die Auferstehung Jesu Christi und aller Toten keine billige Vertröstung auf ein Jenseits; er weitet vielmehr unseren Horizont, ermöglicht trotz aller Beschwernis ein intensiveres Leben und ermutigt dazu, sich selbst mit dafür einzusetzen, dass die zwischenmenschlichen Verhältnisse schon jetzt gerechter und liebevoller werden. Ostern bedeutet darum: Hoffen, wo andere resignieren! Ängste abschütteln, weil sich Zukunft auftut! Geistvoll gegen Erstarrungen angehen! Österliche Menschen leben mit Zuversicht und stellen sich mutig der Gegenwart. Möge dies für uns alle Wirklichkeit werden und Ostern für uns mehr sein als nur ein holdes Frühlingserwachen oder ein lustiges Eierfest.