Beitrag Stephan Rethers bei NoMagida
1. Dass heute wir alle hier zusammen stehen können – ich finde es wunderbar. Dass wir alle hier laut, offen und unzensiert unsere Meinung sagen dürfen – das ist keine Selbstverständlichkeit. Das wäre vor dreißig Jahren hier so nicht möglich gewesen. Trotz Dunkelheit und kalter Füße – ist das nicht toll!
Heute leben wir mit einer Geschäftsordnung, die jetzt 25 Jahre für uns gilt. Wir haben gemeinsame Spielregeln. Gesellschaftliche Herausforderungen und Konflikte werden nicht willkürlich gelöst. Wir haben ein gemeinsames Regelwerk, das Probleme nicht gewaltsam beseitigt. Unsere gesellschaftliche Ordnung erleben wir – in Achtung vor der Würde des Menschen. Und nicht in einer Diktatur, sei sie nationalsozialistisch oder kommunistisch. Unsere gemeinsame Geschäftsordnung ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung unserer Verfassung, unseres Grundgesetzes. Und das ist gut so!
2. Und das gilt für uns alle. Das gilt genauso für alle Menschen, die unter der Flagge von Pegida, Legida, Sügida und besonders hier Magida antreten. Nur weil diese Menschen andere Auffassungen haben, darf es keine Ächtung geben!
Denn alles ist zulässig. Es steht unter dem Schutz unseres Grundgesetzes. Und genau deshalb darf es auch nicht verboten werden.
Weil das so ist: Wir müssen diese große gesellschaftspolitische Herausforderung meistern. Gemeinsam – entschlossen – mutig und mit Kraft. Mit den zulässigen Instrumenten unseres Rechtsstaats. Mit der Kraft der Argumente. Mit guten und sachlichen Dialogen. Mit der inhaltlichen Auseinandersetzung.
3. Sie kennen alle den Herrn „Mustermann“: Der durchschnittliche Pegida-Demonstrant ist laut TU Dresden ein 48 Jahre alter Sachse, männlich, konfessionslos, keine Parteiverbundenheit, stabil grundausgebildet und verdient im Jahr im Schnitt ca. 25.000 Euro netto. Er ist unzufrieden mit der Politik. Er hat Sorge vor Kriminalität von Asylbewerbern und Angst vor eigener Benachteiligung. Und er hat Vorbehalte gegen den Islam und Muslime.
Dass dies vielleicht in den gefühlten Welten des Demonstranten nicht vergnügungssteuerpflichtig ist, das kann ich gut verstehen. Hierfür gibt es Ursachen. Vielleicht liegt es am Fehlverhalten in der Politik. Vielleicht liegt es an falschen Entscheidungen gesellschaftlicher Kräfte einschließlich meiner eigenen Katholischen Kirche. Vielleicht ist es aber auch ein persönliches Verhalten - weil man „einmal im Leben falsch abgebogen ist“, wie ein Trainer aus dem Ruhrgebiet letztens formulierte.
Aber: es liegt bestimmt nicht an unseren ausländischen Mitmenschen. Und es liegt auch nicht an den hilfesuchenden Menschen in Not, Menschen die hier um Schutz und Beistand bitten. Deswegen wünsche ich mir sehr, dass mit dieser heuchlerischen „Prügelknaben-Strategie“ endlich Schluss ist!
4. Gestatten Sie mir einen weiteren Gedanken: Viele Menschen haben hier ihre eigenen Erfahrungen mit Demonstrationen, besonders an Montagen. Erfahrungen, die vor gut 25 Jahren deutlich gezeigt haben: Ein solcher Einsatz führt zum Ziel, zum Erfolg. Die Ziele: für Freiheit- und Menschenrechte!
Heute ist das genau anders: Heut wird an einem Montag demonstriert gegen Freiheit- und Menschenrechte. Gegen Weltoffenheit, gegen Willkommenskultur, gegen Presse- und Meinungsfreiheit.
Dies kann und wird nicht zum Erfolg führen. Dies wird scheitern – auch wenn wir uns noch einige Male hier kalte Füße holen werden!
5. Wir müssen Wege finden im Dialog und der Gewissheit, dass letztlich unsere guten Argumente überzeugen werden:
- Wer das göttliche Gebot „Liebet einander“ kennt, der kann nicht das christliche Abendland abschließen und dichtmachen gegen Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber.
- Wer die Kriminalstatistiken kennt, der weiß, dass die Kriminalitätsquote unter Menschen mit Migrationshintergrund nicht höher ist als unter „Gidaisten“ und anderen Bundesbürgern.
- Wer auch nur einen Hauch von Mitverantwortung hat, der kann es nicht zulassen, dass, wie Papst Franziskus es formulierte, das Mittelmeer zum Massengrab wird.
- Wer auch nur einen Hauch von Mitgefühl hat, dem kann es nicht gleichgültig sein, dass und wie Menschen Opfer einer europa- und ausländerrechtliche Odyssee werden. Wir mussten es hier in Magdeburg im letzten Jahr erleben.
6. Die Menschen, die aus Sorge vor der Islamisierung des Abendlandes auf die Straße gehen. Sie müssen sich fragen lassen:
- Wo ist ihr Stolz, bereit und leistungsfähig den Menschen in Not und Verzweiflung zu helfen? Ihnen Sicherheit und Bleibe zu geben.
- Wo ist ihr Mut, dem Neuen und Unbekannten mit Freude und Neugier zu begegnen? Dem Fremden hilfsbereit die Hand zu reichen.
- Wo ist ihre Lebensfreude, ihre Zuversicht und – ich darf das so sagen – ihr Gottvertrauen, sich diesen Aufgaben und Herausforderungen zu stellen? Und sie zu meistern.
Wir leben trotz aller Mängel und Nachteile in einer extrem leistungsstarken Gesellschaft. Gemeinsam schaffen wir das!
Stephan Rether
Bevollmächtigter des Bischofs von Magdeburg
und des Erzbischofs von Berlin
gegenüber dem Land Sachsen-Anhalt