Macht und Ohnmacht
Experten diskutieren Auswirkungen auf Gesundheit und Gesellschaft
Unter Macht versteht man die Fähigkeit, etwas bewirken zu können. Macht ist ein politisch- soziologischer Begriff, der für Abhängigkeits- oder Überlegenheitsverhältnisse verwendet wird. Als Ohnmacht wird das Gefühl von Hilflosigkeit bezeichnet. Wie erleben Menschen Macht und Ohnmacht? Welche gesundheitlichen Folgen können damit verbunden sein? Die 15. „Hallenser Gespräche zu Psychotherapie, Religion und Naturwissenschaften“ in Halle sind dem nachgegangen.
Vor bis zu 200 interessierten Zuhörern beleuchteten namhafte Referenten auf der zweitägigen Veranstaltung verschiedene Sichtweisen auf die Themenfelder Macht und Ohnmacht, beurteilten medizinische Therapieansätze und diskutierten gesellschaftliche Auswirkungen. Professor Martin Sack, Leiter der Sektion Traumafolgestörungen der Münchener Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie erläuterte, wie eigene Gewalterfahrung von vielen Menschen weitergegeben wird und so Opfer zu Tätern werden. Die Auseinandersetzung mit den belastenden Erfahrungen wird häufig vermieden, so dass Gewaltpotentiale eine Eigendynamik entwickeln und die Gefahr der Weitergabe von tatsächlicher Gewaltausübung, zum Beispiel an die eigenen Kinder, besteht. Die Psychotherapie helfe traumatisierten Personen, selbst erlebte Gewalt, Demütigung oder Vernachlässigung so zu verarbeiten, dass sie nicht selbst zu Tätern werden.
Professor Franziska Lamott, Diplomsoziologin und Gruppenlehranalytikerin an der International Psychoanalytic University Berlin, setzte sich in ihrem Beitrag mit der destruktiven Dynamik von Gruppenprozessen und dem Thema Jugendgewalt auseinander. Anhand des Beispiels einer tödlich entgleisten Situation in einem Jugendgefängnis verdeutlichte die Referentin den Zusammenhang zwischen Kontrolle und Unterwerfung sowie die Auswirkungen von Wut und Hass auf jedwede Schwäche und Organisationsstruktur.
Der Psychologe Martin Altmeyer aus Frankfurt am Main informierte die Zuhörer mit seinen Ausführungen über die „Macht der Beziehung“. Der Mensch sei nicht länger nur als triebgesteuertes Einzelwesen zu betrachten, sondern bewege sich in einem Beziehungsgeflecht, welches, unter anderem am Beispiel einer Mutter-Kind-Interaktion erklärt, entscheidende Auswirkungen auf seine persönliche Entwicklung hat. Professor Thomas Kliche vertrat den Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften der Hochschule Magdeburg-Stendal mit einer Betrachtung von Momenten der Macht und Ohnmacht in Politik und Gesellschaft. Hierbei setzte er sich unter anderem mit den Ursachen und Folgen des politischen Populismus auseinander.
Welche zerstörerische, aber auch kreative Macht das Gefühl der Verwundbarkeit freisetzen kann, stellte Professor Hildegund Keul, Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz in Düsseldorf, in ihrem Beitrag dar. Der Schwerpunkt ihres Vortrags lag auf der christlichen Sicht auf die menschliche Verwundbarkeit und ihre Auswirkungen, zum Beispiel auf politische oder persönliche Entscheidungen. Im Anschluss an die Fachvorträge moderierte Matthias Brenner, Intendant des Neuen Theaters in Halle, eine lebhaft geführte Podiumsdiskussion zum Wechselspiel zwischen Macht und Ohnmacht.
Gastgeberin Claudia Bahn, Chefärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara, äußerte sich zufrieden über die Themenbreite und den regen Zuspruch: „Die Hallenser Gespräche bieten die hervorragende Möglichkeit, dass Referenten unterschiedlicher Fachrichtungen ihre Blickwinkel zusammenführen und untereinander ins Gespräch kommen. Dadurch entsteht ein Austausch, der in letzter Konsequenz unseren Patientinnen und Patienten zugutekommt.“ Beim diesjährigen Thema „Macht und Ohnmacht“ hätten vor allem die ausgewogene Perspektivenwahl zwischen Traumatherapie, Psychoanalyse, Politologie und Theologie überzeugt.
Reinhard Grütz, der als Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Magdeburg als Mitveranstalter des Symposiums verantwortlich zeichnete, sieht einen Grund für den Erfolg der diesjährigen Veranstaltung in den aktuellen Themenbezügen zu Gewalterfahrung, Migration und Populismus: „Unsere Themenwahl hat – offenbar auch bedingt durch die aufgewühlte aktuelle Lage – bei vielen Teilnehmern einen Nerv getroffen.“ Für das kommende Jahr planen die Veranstalter eine Neuauflage der Hallenser Gespräche, erneut mit aktueller Themensetzung und bundesweiter Beteiligung.