Menschen mit Demenz
„Wenn sie mit mir zusammen ist, dann ist sie in der Realität“
„Mitten im Satz hat sie plötzlich aufgehört zu sprechen.“ Heinrich Banet erinnert sich noch gut daran, als seine Frau Lore vor etwa 6 Jahren plötzlich anfing, das Sprechen zu verlieren „Wir waren gerade von einer Reise zurückgekehrt, da wollte sie den Nachbarn erzählen, was wir erlebt hatten.“ Abrupt sei das Gespräch zu Ende gewesen, ganz plötzlich eine Leere entstanden, die sich bis heute um ein deutliches vervielfacht hat. „Mir fehlen unsere Gespräche so sehr.“
Lore Banet ist eine von rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenz, die in Deutschland leben. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen-sie auch. Jahr für Jahr treten mehr als 300 000 Neuerkrankungen auf. Die Zahl der Demenzkranken nimmt kontinuierlich zu. Sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt, wird sich nach Vorausberechnungen der Bevölkerungsentwicklung die Krankenzahl bis zum Jahr 2050 auf rund 3 Millionen erhöhen.
„So viele sind betroffen und trotzdem fragst du dich: Warum gerade sie?“. Für den Magdeburger Schauspieler und Kabarettisten Heinrich Banet, den viele noch von den „Kugelblitzen“ kennen, bleibt die Frage, bleibt die Hilflosigkeit. Verständnis und große Unterstützung findet er in der Tagespflege „Schöne LebensZeit“, die Teil des Bischof-Weskamm-Hauses im Magdeburger Stadtteil Stadtfeld ist. Auf dem Gelände des Marienstifts findet man die Einrichtung, die zur Caritas-Trägergemeinschaft St. Mauritius gehört. Lore Banet besucht sie nun inzwischen von Montag bis Freitag. „Ich bin froh, dass es dieses Haus gibt“, sagt der 78-jährige. „ Ich bewundere alle, die hier arbeiten für ihre Liebe, ihre Geduld und den Respekt, mit dem sie tagtäglich den Menschen hier begegnen.“ Ohne sie wüsste er nicht, wie er es schaffen sollte.
In den Morgenstunden und am Abend kümmert er sich um seine Lore. Nach dem Aufstehen duscht er seine Frau und nach der übrigen Morgenhygiene hilft er ihr beim Ankleiden, um die 77-jährige in die Tagespflege zu fahren. „Dort bleibt sie etwa sieben Stunden in guten Händen. Zeit für mich, in der ich Luft holen kann, mich etwas ausruhe oder Dinge schneller allein erledige.“
Geöffnet hat die „Schöne Lebenszeit“ täglich sogar von 7.30 bis 17 Uhr. Am Nachmittag holt er sie wieder ab, bleibt aber noch ein Weilchen, auf einen Kaffee. „Das besondere hier ist, dass es ein ganz offenes Haus ist. Ich habe andere Einrichtungen gesehen, wo die Menschen hinter verschlossenen Türen sind. Hier wird niemand eingesperrt, für jeden stehen die Türen offen.“
Der Austausch mit anderen Angehörigen sei für ihn immer wichtig. Dazu gäbe es regelmäßige niveauvolle Angehörigentreffen. „Man bekommt Ratschläge und Informationen, kann sich über die Krankheit, aber auch über alles andere unterhalten und merkt, dass man mit seinem Schicksal nicht allein ist.“ Auch die Mitarbeiter seien ihm eine große Stütze und bereit darüber hinaus zu helfen. Gelegentlich unterhält Banet die Tagesgäste mit heiteren Sprüchen, Gedichten und Geschichten aus seinem Repertoire nach bewährter Manier. Dann spürt man die Lebensfreude, die immer noch in ihm steckt.
Wenn der Schauspieler spricht, dann tut er dies heute mit leiser Stimme. Nur wenn es ihn überkommt, er seiner Verzweiflung Ausdruck verleiht, dann steigt das Volumen und man hört das geschulte Organ heraus. „Ich versuche die Rolle des Pflegenden so gut, wie nur möglich zu gestalten“, sagt er. „Das ist eine große Herausforderung und verlangt viel Disziplin, was nicht immer gelingt. Dann heißt es, noch mal von vorn! Reine Nervensache.“
Um sie nicht zu erschrecken, sie nicht zu überfordern, versucht er, sich in ihre Situation zu versetzen. Mit ihr zu kommunizieren, ohne Worte, geht nur über Gefühle, Gesten und Mimik. „Wenn sie mit mir zusammen ist, dann ist sie in der Realität, ist bei mir, meine Frau.“ Er fährt viel Auto mit ihr, sie beobachtet und macht aufmerksam, auf das was sie sieht. Im Restaurant ist sie freundlich zu jedem, der sie freundlich begrüßt und im Fernsehen schauen sie gemeinsam Musiksendungen. „Musik ist, was sie interessiert, was sie scheinbar auch wahrnimmt, mit gekonnt rhythmischen Bewegungen.“
Auch in der Tagespflege wird viel gesungen. Ohnehin ist das kulturelle Angebot sehr vielfältig und niveauvoll. „Es wird vorgelesen, musiziert, es gibt Theateraufführungen, Klavierkonzerte, Tanznachmittage.“ Aber auch in die täglichen Aufgaben werden die 22 demenziell Erkrankten einbezogen: „Lore betätigt sich beim Backen, spült Geschirr oder hilft bei den Bürotätigkeiten. Das hat sie früher nicht so gern gemacht.“ Er lacht. Dann laufen ihm wieder die Tränen über die Wangen. „Wir waren viele Jahre im Sommer mit unserem Wohnwagen in Europa unterwegs. Ich konnte meine Abenteuerlust ausleben und sie hat aktiv und problemlos mitgemacht. Meistens hat sie jedoch gelesen oder die Sonne angebetet. Wir haben meistens nur uns gehabt. Das war herrlich.“
Umso härter trifft ihn der allmähliche Verlust seiner geliebten Frau. „Sie scheint ein anderer Mensch zu sein. Aber wenn wir gemeinsam auf unserem Sofa sitzen, ist es wie in früheren Zeiten, sie streichelt mich, es gibt Küsschen - dann lächelt sie, und wir sind glücklich.“
Sie folgt ihm in der Wohnung auf Schritt und Tritt. Nicht einmal ein Glas Wasser kann er holen, ohne von ihr „verfolgt“ zu werden. „Vielleicht merkt sie, dass sie auf mich angewiesen ist und will mich nicht verlieren.“ Und er macht das gut. „Hier in der Tagespflege haben sie mich schon gelobt.“ Er habe seit Ausbruch der Krankheit so viel gelernt: „Manchmal möchte ich selber auch so gut gepflegt werden“, scherzt er. Denn ohne Humor geht es nicht. Die Heiterkeit trage ihn, auch wenn es oft schwer fällt. Wie es mit seiner Lore weiter geht? Es bleibt ein Abenteuer und darauf lässt er sich immer ein. „Wir schaffen das.“
In diesem Jahr am 4. Dezember feiert die Tagespflege „Schöne LebensZeit“ ihr 15-jähriges Bestehen. Dazu werden alle Angehörigen, Ehemalige, Freunde und Verbündete zu einer kleinen Festlichkeit eingeladen. Wer das Haus der Caritas-Trägergesellschaft St. Mauritius darüber hinaus kennenlernen möchte, kommt am Mittwoch, dem 5. Dezember 2018 zum Tag der offenen Tür. In der Zeit von 10 bis 17 Uhr kann man sich in dem Haus am Marienstift umsehen und sich von der guten Arbeit der 8 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst überzeugen.