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Gottesliebe und Menschenliebe sind untrennbar

Erinnerung an die Ökumenische Versammlung in der DDR, die vor 30 Jahren zu Ende ging

30 Jahre nach dem Beginn der Herbst-Revolution, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, 30 Jahre nach dem Ende der DDR versammelten sich Zeitzeugen, Mitstreiter und Veteranen der Ökumenischen Versammlung in der DDR, die vor 30 Jahren, am 30. April 1989, zu Ende ging. Die Ökumenische Versammlung gab mit ihren Forderungen nach demokratischen Reformen wesentliche Impulse für die friedliche Revolution im Herbst 89.

Die Ökumenische Versammlung dachte über die DDR hinaus, als sie über Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung als Selbstverpflichtung diskutierte. Sie war damit Teil einer weltweiten Aufbruchsbewegung, die sich den Überlebensfragen der Menschheit stellte. Sie wurde als „Handlungsgemeinschaft“ der Kirchen und christlichen Gemeinschaften in der DDR zu einem Modell christlicher Weltverantwortung, über konfessionelle Trennungen hinweg. Unter den Ereignissen im Wendejahr 1989 hatte sie eine besondere Rolle: Bei der Ökumenischen Versammlung probten Christen aus 19 Kirchen das freie Wort. Eine Veranstaltung in Berlin erinnerte daran und fragte, was davon bleibt.

„Gefragt ist“, so Bischof Dr. Gerhard Feige „eine Neubesinnung auf den Kern jedes kirchlichen Auftrags, um sich von da aus den Veränderungen in Kirche und Gesellschaft zu stellen. Das biblische Zeugnis ist hier eindeutig: Gottesliebe und Menschenliebe sind untrennbar. Das Evangelium hat „einen unausweichlich sozialen Inhalt“.  Auch wenn sich Jesus Christus nicht unmittelbar in die Weltpolitik eingemischt hat, sind sein Leben und seine Botschaft nicht unpolitisch.“

Die christlichen Kirchen sehen ihren Auftrag – wie es in einem Gemeinsamen Wort der EKD und der DBK heißt – „vor allem darin, für eine Wertorientierung in der Politik einzutreten, in deren Zentrum die Würde jedes Menschen, die Achtung der Menschenrechte und die Ausrichtung am Gemeinwohl stehen“.  „Darum beteiligen sich die christlichen Kirchen auch „seit vielen Jahren an den öffentlichen Debatten über ethische, politische und rechtliche Fragen“  – trotz einzelner Differenzen in manchen Positionen“, so Feige weiter. Die Kirchen ließen sich aber auch nicht nur auf den Begriff „Moralinstanz“ reduzieren, meine Feige weiter. „Der christliche Glaube ist mehr als Moral; er eröffnet eine befreiende Lebensperspektive, aus der dann freilich auch eine neue Lebensweise folgt. Ohne Gott lassen sich weder Freiheit noch Menschenwürde letztlich begründen.“

Gleich sieben Veranstalter, darunter federführend der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin und die Bundesstiftung Aufarbeitung, erinnerten in der Katholischen Akademie in Berlin an die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung 1988/89 in Dresden und Magdeburg. Zum Abschluss dieses 15 Monate dauernden Diskussionsprozesses legten die Delegierten aus 19 Kirchen am 30. April 1989 zwölf Texte vor, die im Verlauf der kommenden Monate eine wichtige Rolle spielen sollten.

Für Markus Meckel, damals evangelischer Pfarrer und später Mitbegründer der SPD in der DDR, Volkskammer- und Bundestagsabgeordneter und heute Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, war die Ökumenische Versammlung „ein Ereignis, das in die Vorgeschichte der friedlichen Revolution gehört“ und zugleich eine „ganz besondere ökumenische Erfahrung“. Die Teilnehmer seien im Lauf der Monate zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen, und viele von ihnen hätten dies als tragendes Ereignis in ihrer Biografie in Erinnerung.

Die Historikerin und Theologin Katharina Kunter sieht in der Ökumenischen Versammlung der DDR das „Herzstück des konziliaren Prozesses“, der 1983 auf Antrag des Erfurter Propsts Heino Falcke auf der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Vancouver begann und in große Treffen auf europäischer und Weltebene mündete. Für Kunter stellen darüber hinaus die 10.000 Zuschriften aus den Gemeinden eine einmalige historische Quelle zur Alltagsgeschichte der DDR dar: „In gewisser Weise stellten sie die Systemfrage auf Postkartengröße.“

Der aus Sicht der SED-Machthaber subversivste Beschlusstext war derjenige zum Thema „Mehr Gerechtigkeit in der DDR“. Richard Schröder, damals „Berater“ der Ökumenischen Versammlung, später nach einem kurzen Ausflug in die Politik Theologieprofessor an der Berliner Humboldt-Universität, erinnerte an den Versuch, einerseits hinreichend deutlich zu formulieren, andererseits aber auf bestimmte Reizwörter zu verzichten. Wichtige Themen, zu denen keine gemeinsame Position gefunden wurde, seien listig als Fragen in den Anhang des Beschlusses gepackt worden.

Was aber bleibt nach 30 Jahren und einer Wendezeit, in der Formulierungen aus den Texten teilweise wörtlich in die Programme der neu entstehenden Parteien übernommen wurden, nach dem Untergang der DDR-Diktatur und der Wiedervereinigung Deutschlands noch von den damaligen Texten? Für den ehemaligen Generalsekretär des Weltkirchenrats, Konrad Raiser, sind die Selbstverpflichtungen, die sich an die Kirchen gerichtet haben, auch angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen weiter aktuell. „Wenn sich in den Kirchen etwas ändern würde, würde sich auch in der Gesellschaft etwas ändern“, meinte er. Leider sei dieser Prozess in den Kirchen durch die politische Entwicklung unterbrochen worden.

Für den katholischen Magdeburger Bischof Gerhard Feige nicht unbedingt ein Manko: „Die Texte der Ökumenischen Versammlung haben Wirkung gehabt, Kreise gezogen“ über die „sichtbaren Kirchengrenzen“ hinaus, meinte er. Eine rein binnenkirchliche Sicht sei nicht angemessen.

Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, plädierte dafür, die Trias von „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“ entschlossen zu historisieren, weil sie sonst heute nicht mehr verständlich sei. „Friede ist heute auf eine andere Art fragil geworden als 1989“, Gleiches gelte für die anderen Teile der Trias. Und Ueberschär machte auf eine „Leerstelle“ aufmerksam - warum habe eigentlich der Begriff „Freiheit“ gefehlt?“, fragte sie. „War er zu gefährlich, zu unberechenbar, zu riskant für die Kirchen?“

Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, zog einen Bogen von der Ökumenischen Versammlung zur aktuellen Schülerbewegung „Fridays for future“ zum Klimawandel. Seine Frage, welche Unterstützung diese von der Kirche erwarte, blieb allerdings unbeantwortet. Unter den mehr als 300 überwiegend Teilnehmern fand sich kein Vertreter der jungen Protestgeneration.

Die „Ökumenische Versammlung der Christen und Kirchen in der DDR“ 1988/89 stand im Zusammenhang mit dem weltweiten konziliaren Prozess zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der Mitte der 1980er Jahre initiiert worden war. In der DDR regte 1986 der Stadtökumenekreis Dresden einen landesweiten Vorbereitungsprozess an.

Träger war die Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen in der DDR, der 19 Kirchen und Gemeinschaften angehörten, darunter auch die katholische Kirche. Vor dem ersten Treffen im Februar 1988 in Dresden - die zweite Vollversammlung war im Oktober 1988 in Magdeburg, die dritte 1989 wieder in Dresden - gingen mehr als 10.000 Vorschläge ein, die in zwölf Beschlüssen ihren Niederschlag fanden.

Impulsreferat von Bischof Dr. Gerhard Feige

                                  (sus/kna, Foto: Sören Philipps, ÖRBB)

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