Unantastbare Würde aller Menschen nicht verhandelbar
Ein Jahr nach dem rechtsextremistischen Attentat in Halle viel Solidaritätsbekundung und Forderung nach zivilgesellschaftlichem Handeln
Das Gedenken zum ersten Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle haben Solidaritätsbekundungen und Mahnungen geprägt. Schon am Mittag läuteten alle Kirchenglocken der Stadt und das öffentliche Leben stand für einen Augenblick still. Hunderte Menschen versammelten sich auf dem Marktplatz und gedachten des Terrorakts vom 9. Oktober 2019. Ein schwer bewaffneter rechtsextremer Attentäter hatte am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht, unter über 50 Menschen in der Synagoge ein Blutbad anzurichten. Als ihm das misslang, tötete er die 40 Jahre alte Passantin Jana und erschoss in einem Döner-Imbiss den 20 Jahre alten Kevin. Darüber hinaus verletzte er mehrere Menschen auf seiner Flucht.
Auch Bischof Dr. Gerhard Feige verbrachte den Gedenktag in Halle. „Der Terroranschlag in meiner Heimatstadt Halle (Saale) hat mich zutiefst erschüttert und traurig gemacht. Meine Gedanken und Gebete gehören den Familie und Freunden der beiden ermordeten Menschen, den Verletzten und unseren jüdischen Nachbarn. Es ist eine menschliche Katastrophe, dass Juden in Deutschland nicht in Frieden leben und Gottesdienst feiern können. Zweifellos hat die Polarisierung in der Gesellschaft auf allen Ebenen zugenommen. Umgangs- und Verständigungsformen werden rauer, unverschämtes Verhalten greift immer mehr um sich, ja Terroranschläge werden verübt. Um in einer solchen Atmosphäre menschliches Zusammenleben konstruktiv zu gestalten, braucht man viel Kraft, Elan und Mut. Das geschieht nicht automatisch. Da ist auch die Zivilgesellschaft gefordert. Unsere Demokratie muss sich als wehrhaft erweisen und ihre rechtlichen, sozialen und humanitären Errungenschaften zu verteidigen wissen.
Für uns Christen ist die unteilbare Würde aller Menschen nicht verhandelbar. Dazu gehören die Absage an jede Art von Terror und Fremdenfeindlichkeit sowie das Bekenntnis zu Toleranz, Weltoffenheit und Solidarität. Deshalb rufe ich sie alle auf, einem Moment inne zu halten und für ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft zu beten.“
Der Bischof nahm gemeinsam mit dem evangelischen Landesbischof Friedrich Kramer an der zentralen Gedenkfeier in der Hallenser Ulrichskirche teil. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte bei der Veranstaltung davor, zur Tagesordnung überzugehen: „Wir müssen zeigen, dass wir keine Form von Antisemitismus, ob alten oder neuen, linken oder rechten, tolerieren - mehr noch, dass wir ihn aktiv bekämpfen. Dieser Kampf geht uns alle an.“ Antisemitismus sei ein „Seismograph“ für den Zustand der Demokratie. Er selbst empfinde ein Jahr nach der Tat weiterhin Scham und Zorn.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, rief zum Einsatz für Menschenwürde und Zusammenhalt auf. Das „krude Menschenbild“ des 28 Jahre alten Angeklagten trete im laufenden Gerichtsverfahren immer deutlicher zutage. „Mich beeindruckt tief die menschliche Größe der Zeugen im Prozess“, so Schuster. „Deutschland ist unser Zuhause, und dieses Zuhause lassen wir uns nicht nehmen.“ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, nannte die Tat einen Angriff auf alle Menschen und die Demokratie. Es gehe nicht nur um Antisemitismus, sondern auch um Hass und Intoleranz - „und die ist wirklich tödlich“. Ob eine Rückkehr in ein normales Leben angesichts der beiden Todesopfer möglich sei, sei ungewiss.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bezeichnete den Tag des Anschlags als eine „Zäsur in unserer Landesgeschichte“. Er sicherte der jüdischen Gemeinschaft Unterstützung zu. Der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer sagte: „Die Wunde ist noch spürbar und nicht verheilt, auch wenn wir rasch wieder zum Tagesgeschäft übergangen sind. Im Beisein des Bundespräsidenten wurden an der Synagoge und dem Döner-Imbiss Gedenktafeln enthüllt und Kränze niedergelegt. Im Innenhof der Synagoge wurde zudem ein Mahnmal enthüllt, in das die Holztür mit den Einschusslöchern eingearbeitet wurde, die das gewaltsame Eindringen des Attentäters verhindert hatte.
Mit einem ökumenischen Friedensgebet in der Stadtkirche fanden die Gedenkfeierlichkeiten zum Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags auf die Synagoge in Halle einen würdigen Abschluss. „Wir wollen ein Zeichen der Verbundenheit senden, als Zeichen, dass wir für unsere jüdischen Geschwister eintreten und ihnen Frieden wünschen“, sagte der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer. Im Anschluss begaben sich Kramer und sein katholischer Amtsbruder, Bischof Dr. Gerhard Feige, zu Fuß mit den Gottesdienstbesuchern zum Döner-Imbiss und zur Synagoge um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen.
(kna, sus; Foto: Sperling)