Lassen Sie sich nicht entmutigen!
Ermutigende Worte des Bischofs von Magdeburg anlässlich der Instruktion der Kongregation für den Klerus
Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Magdeburg und darüber hinaus,
eigentlich hatte ich mich innerlich schon fast auf meinen Urlaub eingestellt, dann aber wurde von der römischen Kongregation für den Klerus mitten im „Sommerloch“ ohne vorherige Konsultation mit uns Bischöfen oder Ankündigung eine Instruktion mit dem Titel „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ veröffentlicht. Schon bald meldeten sich Bischöfe, Theologen und andere überwiegend kritisch zu Wort, einige hingegen lobten das Schreiben. Auf jeden Fall hat es zum Teil große Unsicherheiten und Fragen ausgelöst. Leider treffen wir deutschen Bischöfe uns erst beim Ständigen Rat am 24. August 2020 wieder, um darüber reden zu können. Angesichts mancher Besorgnis halte ich es jedoch für angebracht, mich heute schon einmal dazu zu äußern.
„Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht selbst genügt, sondern die allen Menschen Anteil an der Hoffnung gibt, die uns in Jesus Christus geschenkt ist … Deshalb nehmen wir die Herausforderung an, in unserer Diasporasituation eine missionarische Kirche zu sein. Einladend, offen und dialogbereit gehen wir in die Zukunft.“ In diesem Leitwort von 2004 sehen wir Christen im Bistum Magdeburg schon seit Jahrzehnten unsere besondere Sendung. Insofern stimme ich den Äußerungen von Papst Franziskus zur missionarischen Ausrichtung aller unserer Bemühungen, die die jüngste römische Instruktion zitiert, voll und ganz zu. Dass ein solcher Bewusstseinswandel nicht leicht ist und nur mühsam Gestalt annimmt, wissen wir aus eigener Erfahrung. Viele leben mit und aus ihren Erinnerungen und Prägungen und haben andere Vorstellungen von Kirche oder wollen sich in ihr einfach nur heimisch fühlen. Zudem gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, wie Kirche zu sein hat. Inzwischen begreifen aber auch immer mehr, was wir in unseren Zukunftsbildern so formuliert haben: „Wir sind Gottes Zeugen hier und heute. Als schöpferische Minderheit setzen wir in ökumenischem Geist seinen Auftrag um: in unseren Pfarreien, in Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen, in Kooperationen mit Partnern in der Gesellschaft.“ Und das ist nicht nur Theorie. Immer wieder kann ich nur staunen, wie begnadet und kreativ auch eine „kleine Herde“ von gläubigen Christen sein kann: in geistlichen und katechetischen Belangen, im Erziehungs- wie im Bildungsbereich, kulturell und politisch oder in der Sorge um Notleidende und Bedürftige. Dafür bin ich allen sehr dankbar, ob geweiht oder beauftragt, angestellt oder ehrenamtlich, getauft oder uns anderweitig verbunden. Viele nehmen Verantwortung wahr, geben – auch wenn manche Erfahrungen entmutigen könnten – nicht auf, sondern bringen sich mit ihrem Glauben und Vertrauen, ihren Charismen und Fähigkeiten aufopferungsvoll ein, damit Kirche auch unter den ostdeutschen Voraussetzungen und Bedingungen einer äußerst säkularen Diaspora lebendig und wirksam bleibt. Wir haben nicht die Illusion, wenn man nur wolle, könne man alles erreichen, oder dass Kirche immer so sein muss, wie sie jahrzehntelang bei uns war. Zum einen ist sie nicht unser Werk, sondern verdankt sich Gott, zum anderen kann sie – wie ihre zweitausendjährige Geschichte und ihr heutiger weltweiter Zustand zeigen – auch unter schwierigsten Umständen Wurzeln schlagen und sich entfalten. Entscheidend ist aber, dass möglichst viele Getaufte und Gefirmte begreifen, eine eigene Berufung zu haben und gemeinsam Kirche zu sein. Außerdem ist entscheidend, sich nicht als Nachlassverwalter, sondern als Wegbereiter zu verstehen.
Große Veränderungen liegen bereits hinter uns. Seit 2010 haben wir 44 Pfarreien. Bei einer derzeitigen Katholikenzahl von etwa 79.000 ist das noch eine üppige Zahl, im Hinblick auf eine gewisse natürliche Nähe angesichts der Weite unseres Bistums und des Territoriums der einzelnen Pfarreien aber zu rechtfertigen. Inzwischen steht jedoch schon für zehn Pfarreien kein eigener Pfarrer mehr zur Verfügung und werden heutigen Einschätzungen zufolge 2030 insgesamt nur noch etwa 20 Priester im aktiven Dienst sein. Hinzu kommen weitere schwerwiegende Nöte, die auch nicht als Übergangsprobleme angesehen werden können. Die Gestalt von Kirche wird sich sogar noch dramatischer verändern als schon bisher; und das nicht nur bei uns. Da hilft es kein bisschen weiter, nur hehre Prinzipien heraufzubeschwören und auf kirchenrechtliche Vorgaben zu verweisen. Stattdessen muss unter Beachtung der theologischen und personellen, regionalen und ökonomischen Rahmenbedingungen verantwortungsbewusst und einfühlsam sowie kreativ und mutig überlegt, besprochen und entschieden werden, in welcher Form Pfarreien und Gemeinden auch in Zukunft noch bestehen und lebendig von Gott künden können.
In einem solchen Prozess sind wir schon seit langem. Dabei haben wir keine generellen Pläne und perfekten Lösungen, jedoch einige konkrete Vorstellungen und berechtigte Hoffnungen. Jede Pfarrei, die vor der Frage steht, wie es künftig weitergeht, soll sich daran orientieren, muss aber ihren je eigenen Weg finden, und wird durch das Ordinariat begleitet. Und so versuchen wir lokal und regional mit Haupt- und Ehrenamtlichen im Vertrauen auf den Beistand des Heiligen Geistes manches auszuprobieren und Schritte zu gehen, von denen wir meinen, dass sie uns konstruktiv weiterführen können. Als Lernende nehmen wir Anregungen gern an. Insofern werden wir auch die Aussagen der jüngsten römischen Instruktion bedenken. Als Bischof lasse ich mich von deren restriktiven Anordnungen aber nicht lähmen und blockieren, da vieles darin ziemlich wirklichkeitsfern ist – besonders was unsere extreme Diaspora-Situation betrifft, die man sich offenbar gar nicht vorstellen kann – und auch keinerlei positive Lösungsmöglichkeiten angesichts des noch größer werdenden Priestermangels aufgezeigt werden. Sicher war es nicht die bewusste Absicht der Klerus-Kongregation, unter den noch gutmütigen Christen „das geknickte Rohr zu zerbrechen und den glimmenden Docht auszulöschen“ (vgl. Jes 42,2), dennoch hinterlässt die Instruktion neben Ratlosigkeit und Verärgerung auch großen Schaden. Manche wird sie demotivieren, sich für unsere Kirche überhaupt noch einzusetzen.
Liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie sich nicht entmutigen! Suchen wir gemeinsam nach verantwortbaren und verkraftbaren Möglichkeiten, damit Kirche in unserem Bistum auch weiterhin lebendig bleibt und ihrer missionarischen Sendung gerecht werden kann! Mit großem Respekt und herzlichem Dank für Ihre Treue und Ihr Glaubenszeugnis grüße ich Sie und wünsche ich Ihnen sowohl eine stabile Gesundheit und einen angenehmen Sommer als auch und vor allem Gottes Segen
Ihr
+ Gerhard Feige
Bischof von Magdeburg
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