Dennoch verbunden
Hirtenwort von Bischof Dr. Gerhard Feige anlässlich der abgesagten Bistumswallfahrt 2020
Liebe Schwestern und Brüder,
eigentlich findet am ersten Sonntag im September immer unsere Bistumswallfahrt statt. Diese Tradition – zeitweise auch zu einem anderen Termin – wurde schon 1955 für das damalige Bischöfliche Kommissariat Magdeburg begründet. Im Anfang – heute kaum noch vorstellbar – kamen dabei sogar über 20.000 Gläubige zusammen. Nach Flucht und Vertreibung sowie den Nöten der Nachkriegszeit empfanden viele darin einen neuen Ausdruck der Geborgenheit und Hoffnung. Seitdem ist – soweit ich mich erinnern kann – die Bistumswallfahrt kein einziges Mal ausgefallen. Jedes Jahr freue ich mich erneut über die rege und vielfältige Beteiligung, besonders auch von Kindern und Jugendlichen, Vereinen und Verbänden, aus unserer Region und darüber hinaus bis zu den Gästen aus unseren Partnerbistümern. Erstaunlich ist zudem das große Engagement, mit dem alles organisiert und gestaltet wird. Auch viele von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, kommen dazu immer wieder gern auf die Huysburg, um in froher Runde den Gottesdienst zu feiern, einander zu begegnen und sich sowohl bestärken als auch anregen zu lassen. Gerade in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Bedeutung dieser Wallfahrt für unsere Ortskirche eher noch zu- als abnimmt.
Und nun hat die Corona-Pandemie uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Wallfahrt musste abgesagt werden. Um dennoch unsere Verbundenheit im Bistum zum Ausdruck zu bringen, kam eine andere Idee auf. Und so fand gestern in Magdeburg die Ölweihmesse statt, die ja sonst in der Karwoche gefeiert wird. Sie wurde per Livestream übertragen. In begrenzter Zahl haben neben einigen Priestern auch andere Vertreterinnen und Vertreter aus Ihren Pfarreien daran teilgenommen. Und zu Beginn des heutigen Gottesdienstes sind in einer Kirche Ihrer Pfarrei die heiligen Öle „begrüßt“ worden. Jahr für Jahr werden sie ja überall bei der Taufe, der Firmung und der Krankensalbung verwendet. So wie „Christus“ übersetzt „der Gesalbte“ heißt, erinnert uns besonders auch das Chrisamöl daran, dass wir zu Christus gehören und – ebenfalls von Gottes Geist erfüllt – ihm in Wort und Tat nachfolgen sollen.
Liebe Schwestern und Brüder, ist das nicht gerade jetzt angesichts der Corona-Pandemie ein ermutigendes Zeichen? Sagt es jeder und jedem von uns doch: „Gott ist dir nahe, auch in Angst und Unsicherheit, in Einsamkeit und Krankheit, selbst im Sterben“. Zudem verbindet er uns miteinander und gibt uns die Kraft, füreinander da zu sein. Haben wir als Christen damit nicht gerade jetzt, wo die „gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen, ökonomischen, kulturellen und religiösen Ordnungsmuster … von einem Tag auf den anderen erschüttert (wurden) … einen besonderen Auftrag für unsere Gesellschaft?“ Um das alles auszuhalten und gut damit umzugehen, bedarf es aber einer inneren „Festigkeit“. Dabei geht es um eine „sorgende Haltung, die nicht in der Sorge um die eigene Verwundbarkeit steckenbleibt, sondern sich für die Verwundbarkeit anderer öffnet“. Beides – der eigene innere Halt und die Sorge für andere – ist für das Zusammenleben sowohl im eigenen Umfeld als auch weltweit ganz entscheidend.
Dabei sind wir als Kirche besonders herausgefordert. Nach wie vor suchen Menschen ja nach Orten, an denen sie sich mit ihrer Angst und ihren Fragen aufgehoben fühlen; nach Zeichen und Worten, die ihnen eine Perspektive und verlässliche Orientierungspunkte aufzeigen. Deshalb erscheint es mir umso wichtiger, uns noch deutlicher darauf zu besinnen, wozu wir als Kirche eigentlich da sind, anstatt nur um uns selbst zu kreisen. Dazu braucht es dringend einen „Weg der Umkehr und Erneuerung“. Dabei könnte die Corona-Krise mit ihren Beschränkungen auch für unser kirchliches Leben – so glaube ich – sogar ein „kairós“, sein, „eine Zeit der Gelegenheit zum Innehalten und zu einem gründlichen Nachdenken vor Gott und über Gott. Ich bin überzeugt“– so schreibt Tomáŝ Halík, ein tschechischer Priester und bedeutender Religionsphilosoph – „dass die Zeit gekommen ist, in der man überlegen sollte, wie man auf dem Weg der Reform weitergehen will, von deren Notwendigkeit Papst Franziskus spricht: weder Versuche einer Rückkehr in eine Welt, die es nicht mehr gibt, noch ein Sichverlassen auf bloße äußere Reformen von Strukturen, sondern eine Wende hin zum Kern des Evangeliums, ein ‚Weg in die Tiefe‘“.
Erfreulicherweise haben einige von uns – so mein Eindruck – gerade in der Zeit, in der öffentliche Gottesdienste nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich waren, damit bereits heilsame Erfahrungen gemacht. Manche haben die Kar- und Ostertage erstmals selbst gestaltet und dabei einen tieferen Zugang zu deren Botschaft gefunden. Andere sind mit ihren Kindern zu einer Kirche gewandert, um dort zu singen und zu beten. Wieder andere haben sich zu Hausgottesdiensten anregen lassen oder Gottesdienste, die durch das Fernsehen oder per Livestream übertragen wurden, bewusst mitgefeiert. Viele haben auch Möglichkeiten gefunden, Menschen in ihrer Umgebung zu unterstützen oder ihnen Freude und Trost zu spenden. Nicht wenigen ist dabei bewusst geworden, wie wichtig es heutzutage sein kann, als Kirche auch über die digitalen Medien unterwegs zu sein. Ich bin sehr dankbar zu sehen, wie viele in unserem Bistum auch unter erschwerten Bedingungen Verantwortung wahrnehmen und sich mit ihrem Glauben und Vertrauen, ihren Charismen und Fähigkeiten einbringen, damit Kirche lebendig und wirksam bleibt. Insofern eröffnet die Krise, in die uns die Corona-Pandemie gestürzt hat, tatsächlich eine Chance für unsere Kirchenentwicklung. Sie fordert uns alle heraus, „neu über die visionäre Kraft des Evangeliums nachzudenken und sie in unsere Welt einzubringen“.
Wichtig ist mir dabei auch, dass wir diesen Weg der Vertiefung gemeinsam gehen. In den Lesungen und im Evangelium des heutigen Sonntags (Ez 33,7-9; Röm 13,8-10; Mt 18,15-20)) ist von der Liebe die Rede, die wir einander schulden, auch und gerade dann, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Dazu passt es nicht, wenn einige, die besonders lautstark von Evangelisierung und Missionierung reden, anderen absprechen, noch katholisch zu sein, oder diese sogar unflätig beschimpfen. Natürlich gibt es immer unterschiedliche Meinungen. Und es ist klar, dass Krisen und Veränderungen auch eine große emotionale Herausforderung sind. Doch angesichts des dringenden Reformbedarfs unserer Kirche brauchen wir vor allem „einen ehrlichen und offenen Dialog, der von gegenseitigem Vertrauen und Respekt sowie der Bereitschaft zu einem gegenseitigen Verstehen geprägt ist“.
Dieses Miteinander muss sich auch über unsere kirchliche Gemeinschaft hinaus ausweiten. Deshalb haben wir schon immer bei jeder Bistumswallfahrt für ein besonders wichtiges Anliegen einer gesellschaftlichen Gruppe oder eines unserer Partnerbistümer gesammelt. Diesmal hat die Deutsche Bischofskonferenz angesichts der Corona-Pandemie und ihrer internationalen Folgen den heutigen 6. September zum „Sonntag der Solidarität“ bestimmt und zu einer Sonderkollekte aufgerufen. Ich bitte Sie herzlich, diese Kollekte großzügig zu unterstützen und damit Ihre Solidarität mit den notleidende Menschen in Lateinamerika, Asien und Afrika, aber auch in verschiedenen Ländern Osteuropas zum Ausdruck zu bringen.
Liebe Schwestern und Brüder, sicher werden wir noch einige Zeit mehr oder weniger mit den Corona-bedingten Einschränkungen leben müssen. Einige Lockerungen sind jedoch schon zu verzeichnen. Alle sich daraus ergebenden Möglichkeiten sollten wir verantwortungsbewusst gestalten. So werde ich auch wieder auf Firmreisen gehen, dabei aber leider nicht viele von Ihnen treffen können. Was die Wahlen zu den Kirchenvorständen und Pfarrgemeinderäten am 7./8. November betrifft, so hoffe ich, dass sich zahlreiche Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung stellen und ermutigende Ergebnisse zustande kommen. Und schon jetzt sollten auch Sie sich – wie wir im Ordinariat uns – Gedanken darüber machen, in welcher Weise wir unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen kreativ auf den Advent und Weihnachten eingehen können. Beten wir füreinander und stärken wir uns gegenseitig im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Bei den Juden gibt es am Schluss des Sederabends und des Versöhnungstages den traditionellen Wunsch: „Nächstes Jahr in Jerusalem“. In Anlehnung daran grüße auch ich Sie erwartungsvoll und zuversichtlich: „Und nächstes Jahr wieder auf der Huysburg!“
In herzlicher Verbundenheit erbitte ich Ihnen allen Gottes reichen Segen.
Ihr
+ Gerhard Feige
Bischof von Magdeburg
(Foto von der Wallfahrt 2018/Sperling)
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