Die Königin der Instrumente ist zurück
Aufwendige Orgelrestaurierung in Staßfurt abgeschlossen - feierliche Einführung zum 1. Advent
Nach über 29 Monaten langen geduldigen Wartens, wird die Pfarrei St. Marien Staßfurt ihre komplett restaurierte Rühlmannorgel bei einer feierlichen Orgelvesper mit Kathedralmusiker Matthias Mück am
1. Adventssonntag, 29. November um 16 Uhr wieder in Dienst nehmen.
In der Katholischen Kirche St. Marien in Staßfurt, in der jeden Sonntag die Orgel gespielt wird, war seit Juni 2018 eine große Lücke auf der Empore entstanden. Die Königin der Instrumente war verstummt. Ein Großteil ihrer Pfeifen wurden in die Werkstatt des Vogtländischen Orgelbaus Thomas Wolf abtransportiert.
Umfangreiche Arbeiten an der Orgel waren notwendig geworden. Sie zielten auf die Verbesserung der Klanggestalt des imposanten Instrumentes und auf sein Aussehen. „Die einzelnen Stimmen der Orgel wurden gereinigt, Pfeifen in der Schauseite der Orgel wurden rekonstruiert und das gesamte Gehäuse wurde überarbeitet“, erklärt Matthias Mück. Der Kirchenmusiker der Kathedrale St. Sebastian in der Landeshauptstadt betreut als Orgelsachverständiger des Bistums Magdeburg die Arbeiten in Staßfurts katholischer Hauptkirche fachlich.
Sie seien ein wenig mehr, als die Routine der jährlichen Wartung und Stimmung des Instrumentes, erklärt Matthias Mück. Wilhelm Rühlmann hat die Orgel 1896 als sein Opus 178 erbaut. In den Jahren 1989/90 wurde das Instrument erstmals gereinigt und seine Technik überarbeitet, wobei aber aus Kostengründen nur ein Teil ausgeführt werden konnte Alle über 2000 Pfeifen stehen auf so genannten pneumatischen Kastenladen. Sie erklingen, wenn Luft in sie geblasen wird, ihre Ventile werden ebenfalls über den sogenannten Pneumatik gesteuert.
Das alles ist sehr komplex und bedarf nach 30 Jahren einer erneuten Überarbeitung, damit die Orgel künftig auch zuverlässig erklingt.
Der große Blasebalg der Orgel drohte zu reißen und es war dringender Handlungsbedarf, ein „Kollaps“ der Windversorgung wäre die Folge gewesen. Zudem nahmen die Orgelbauer jede einzelne Pfeife in die Hand, reinigten sie und sorgten über feinste Handgriffe dafür, dass ihre Ansprache wieder besser wird. Die großen Pfeifen wurden in der Kirche durchgesehen, der Rest erhielt seine Frischekur in der Orgelbauwerkstatt in Limbach (Vogtland). Die Generalreinigung war nötig, weil sich über die Jahre viel Staub in den Pfeifen abgelagert hat. Würde man dem nicht zu Leibe rücken, nütze auch die regelmäßige Stimmung des Instrumentes irgendwann nichts mehr.
Aus Kostengründen wurde die Rühlmann-Orgel in der Wendezeit aber leider nicht komplett restauriert. Das wurde jetzt nachgeholt. „Im Ergebnis werden die Zuhörer das nicht nur im Klang wahrnehmen, sondern auch im Aussehen der Orgel“, so Matthias Mück. Das Gehäuse und der Spieltisch erhalten ihren ursprünglichen Glanz zurück. Die originale Farbfassung war etwas heller. Das Gehäuse wurde irgendwann einmal dunkel übermalt. Die Orgelbauer nahmen dort, wo es nötig war, auch statische Stabilisierungsmaßnahmen vor. Die komplette Elektrik für die Beleuchtung des Orgelinneren wurde ebenfalls auf den modernsten Stand gebracht.
Rein optisch wird der Prospekt, die Schauseite der Orgel, auch durch zu rekonstruierende Pfeifen neuen Glanz erhalten. Denn die originalen Prospektpfeifen musste die Gemeinde im Ersten Weltkrieg zu Rüstungszwecken abgeben. Erst 1933 wurden die fehlenden Zinnpfeifen durch Rühlmann mit solchen aus Zink ersetzt, was ein billiger Ersatz war. Orgelbaumeister Thomas Wolf hat jetzt die 35 Pfeifen des Orgelantlitzes aus hochwertigem Zinn nachgebaut. „Zink war nur ein Ersatzmaterial. Das ist vergleichbar mit den Stahlglocken, die überall nach den Kriegen für die abgegebenen bronzenen aufgehängt wurde“, sagt der Orgelbauer. Das Material Zinn wirke sich unmittelbar auf den Klang aus. „Der Ton ist voluminöser und weicher.“
Die Rekonstruktion stellten Orgelbauer und Orgelsachverständigen vor eine große Herausforderung. Denn die neu zu bauenden Pfeifen mussten in das Klangkonzept Wilhelm Rühlmanns passen. Da kam es auf die richtigen Maße von Öffnungen und auf die Bauform an. „Die Wandungsstärke und die Legierung der Pfeifen müssen sich so weit wie möglich dem annähern, was der Orgelbauer im 19. Jahrhundert vollbracht hat“, sagt Thomas Wolf und berichtet von einer Detektivarbeit. Denn er und Mück haben Unterlagen im Kirchenarchiv durchgesehen, auf er Suche nach möglichen Kostenvoranschlägen für die Orgel samt Materialauflistung. Außerdem haben die Experten unterschiedliche Rühlmannorgeln begutachtet, bei denen die originalen Prospektpfeifen noch erhalten sind. Daraus könne man Rückschlüsse ziehen, erklärt Thomas Wolf. „Aber jede Orgel ist anders und individuell auf ihren Raum abgestimmt.“
Orgelsachverständiger Matthias Mück ist unbedingt davon überzeugt, dass die Arbeiten wichtig waren, auch wenn die bisherigen Prospektpfeifen geklungen haben und das Gehäuse grundsätzlich intakt war. „Wir haben es hier mit einem Denkmal zu tun.“ Abgesehen von den klanglichen Arbeiten zum Schutz dieses besonderen Instrumentes komme man der Idee Rühlmanns so nah wie nur möglich. „Denn immerhin sind 99 Prozent des ursprünglichen Pfeifenmaterials noch vorhanden. Die rekonstruierten Prospektpfeifen runden das ab.“ In seiner Konzeption und Bauweise, in der klanglichen Ausrichtung und der Gestaltung sei das Instrument ein Unikat, ein Zeugnis einer Zeit, aus der wenige Orgeln erhalten sind, weil ein sich verändernder Geschmack spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder zu Umbauten an den Instrumenten geführt hat. Ihr Klang sollte heller sein. „Die Marienorgel zeichnet sich durch eine große Grundtönigkeit aus. Durch einen sehr runden, nuancenreichen und warmen, aber auch kräftigen Klang“, umschreibt es Mück.
Das Renovierungsprojekt kostet viel Geld. Orgelbau ist Handarbeit. Rund 95.000 Euro waren zunächst dafür veranschlagt. Die Rekonstruktion der Prospektpfeifen beanspruchte einen großen Teil dieser Summe.
Leider wurden während der Bauphase unter der Empore extremer Schwammbefall festgestellt. Umfangreiche Untersuchungen haben ergeben, dass das Tragwerk und die gesamte Konstruktion der Empore derart beschädigt ist, dass sie komplett erneuert werden musste. Somit war es auch erforderlich, dass die Orgel doch komplett abgebaut werden musste, um Baufreiheit für die Emporensanierung zu haben.
Das bereits restaurierte Orgelgehäuse wurde demontiert und die Technik der Orgel komplett abgebaut. Das verursachte erneute hohe Kosten und eine weitere Verzögerung im Bauablauf. Somit wuchs das ganze Projekt auf rund 193.000 Euro an, womit man jetzt von einer kompletten Restaurierung sprechen kann, da auch die Windladen in der Orgelwerkstatt überholt wurden und mit neuen pneumatischen Bälgchen bestückt wurden.
Die Kirchengemeinde finanziert zwei Drittel aller Kosten selbst. Den Rest übernimmt das Bistum Magdeburg aus dem Orgelfond.
Spendenkonto:
Katholische Kirchengemeinde St. Marien Staßfurt Bank für Kirche und CaritasIBAN: DE03 4726 0307 0040 5809 00BIC: GENODEM1BKCVerwendungszweck: „Orgelsanierung“.Die Gemeinde dankt allen Unterstützern.
(MM; Pfarrei Staßfurt)