Vom Friedenskönig zum Sündenbock
Palmsonntagspredigt von Bischof Dr. Gerhard Feige über die Überwindung des Kreislaufes des Bösen
Zum Beginn der Karwoche predigt Bischof Dr. Gerhard Feige am Palmsonntag über die tragikomische Situation, dass Jesus bei seinem sanftmütigen und bescheidenen Einzug nach Jerusalem zunächst als König gefeiert und beim Betreten der Stadt dann nur als Prophet aus Galiläa gesehen wird. „Damit steht sein Einzug unter einem zweifachen Aspekt: der Ankunft des lange erwarteten Messias und der Blindheit gegenüber seinem Wesen und Auftrag – eine wahrhaft tragikomische Situation“, so der Bischof.
Nur wenige Tage später wir der Mann, dem begeistert zugejubelt wurde, als Staatsverbrecher und Aufrührer gekreuzigt. Jesus wird zum Schuldigen oder Sündenbock gemacht, die Wut und der Zorn der Massen auf ihn gelenkt, um den Zusammenhalt in der eigenen Gruppe zu stärken. „Einen solchen Mechanismus, dass einzelne oder auch ganze Gruppen von Menschen, die fremd oder „anders“ sind, zu „Sündenböcken“ gemacht wurden, hat es schon oft in der Geschichte gegeben. In unserer jüngsten Vergangenheit zeigt die Tragödie des Holocaust in besonders erschreckender Wei-se, wohin es führen kann, wenn ein Volk sich derart verblenden lässt. Aber auch in der Gegenwart ist wieder üblich, für alles und jedes einen „Sündenbock“ zu suchen und den Hass auf ihn zu lenken.“
Jesus habe sich gegen diese Rolle nicht gewehrt, sondern hat vielmehr eingewilligt, stellvertretend für andere zu leiden und zu sterben. So sei er bis zuletzt seinem Auftrag treu geblieben: „diesen Gott zu bezeugen, der durch und durch Liebe ist. Damit aber hat er den Mechanismus des Sündenbocks durchbrochen. Denn dieser Mechanismus funktioniert nur so lange, wie sich Menschen von ihm in Besitz nehmen lassen. In dem Moment, wo sich auch nur ein einziger dem Kreislauf des Bösen entzieht und stattdessen die Gewalt mit Liebe beantwortet, wird dieser Gewalt der Boden entzogen. Auch wenn dies bei Jesus den Tod bedeutete, so konnte das Böse ihn letztlich nicht bezwingen. Gott hat ihn wieder auferweckt und damit auch seinen Weg der bedingungslosen Liebe bestätigt.“
„Und nun sind wir in die Karwoche eingetreten und wollen Jesus, dem „Friedenskönig“ und „Sündenbock“ auf seinem Leidensweg folgen, um auch an seiner Auferstehung und seinem Leben Anteil zu erhalten. Ist das nicht irgendwie ebenso ungewöhnlich wie das damalige Ereignis?“, fragt Bischof Feige. Denn auch heutzutage scheiden sich an ihm die Geister, haben viele Menschen keinen Zugang mehr zu ihm. „Inmitten solcher Zustände das Gedächtnis an ihn zu begehen und dabei auch noch angesichts der Corona-Krise auf die sonst üblichen Formen verzichten zu müssen, ist alles andere als selbstverständlich und fordert uns enorm heraus.“
Die Frage bleibt, ob wir es Jesus zutrauen, uns in diesen Tagen auch ohne die gewohnten liturgischen Feiern nah zu sein? „Ist das nicht ein Hinweis darauf, dass er auch heute unscheinbar und unaufdringlich in unsere Mitte kommen könnte? Sicher geschieht das, wenn wir in familiärer Runde oder allein zuhause beten und singen oder auf andere Weise seiner gedenken. Und vor allem will er uns auch in denen begegnen, die Not leiden und unserer Hilfe bedürfen. Trotz allen Abstands, den wir vorsorglich halten müssen, gibt es doch manche Möglichkeiten, andere Menschen existentiell zu unterstützen, geistlich zu begleiten oder miteinander zu ver-netzen und ihnen damit Worte und Zeichen der Hoffnung zu schenken.“
Die Predigt von Bischof Dr. Gerhard Feige zum Download
Livestream des Palmsonntag-Gottesdienstes aus St. Sebastian