Die Ökumene in Deutschland lebt
Bischof Dr. Gerhard Feige äußert sich zum aktuellen Stand der Ökumene in der evangelischen Kirchenzeitung „Glaube + Heimat“
Bischof Dr. Gerhard Feige sieht in den katholischen Reformbestrebungen „zukunftsweisendes Potenzial für die Ökumene“. In einem Gastbeitrag für die in Weimar erscheinende Mitteldeutsche Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“ (Ausgabe 25. Juli) verweist er auf den „Synodalen Weg“ in Deutschland und den von Papst Franziskus eröffneten weltweiten synodalen Prozess. Dort würden „Perspektiven hin zu einer Betonung des Bischofskollegiums in der Gemeinschaft mit dem Papst und hin zu einer Stärkung der Stimme des ganzen Gottesvolkes erkennbar“, schreibt der Ökumenebischof der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Noch sei jedoch „nicht absehbar, wohin diese Aufbrüche führen“, räumt er zugleich ein.
Den bereits bestehenden Kontakten zwischen den Konfessionen stellt Feige ein gutes Zeugnis aus. „Die Ökumene in Deutschland lebt“, betont er. Das gelte für das Miteinander der Gläubigen und für die Kontakte der Kirchenleitungen, zwischen denen „wertvolle und verlässliche Beziehungen“ entstanden seien. Ein ähnliches Bild zeigten auch die ökumenischen Kontakte der katholischen Kirche auf Weltebene. Feige ruft dazu auf, die theologischen Diskussionen intensiv weiterzuführen, „um bislang erreichte Annäherungen bewusst zu halten und weiter zu vertiefen“.
Der Beitrag zum aktuellen Stand der Ökumene für „Glaube und Heimat“ – Ausg. 25. Juli 2021 im Wortlaut:
Die Ökumene in Deutschland lebt. Das gilt für das Miteinander der Gläubigen genauso wie für die Kontakte zwischen den Kirchenleitungen. Über viele Jahre sind zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und anderen christlichen Kirchen in ökumenisch bi- und multilateralen Kontexten wertvolle und verlässliche Beziehungen entstanden. Sie sind eine der zentralen Ressourcen der Ökumene und brauchen beständige Aufmerksamkeit. Ein ähnliches Bild zeigt der Blick auf die ökumenischen Kontakte der katholischen Kirche auf Weltebene. Im gemeinsamen Gebet, im wechselseitigen Austausch und im vereinten Handeln wird schon jetzt die Einheit sichtbar, die unter denen besteht, die an Jesus Christus glauben und durch die Taufe zu ihm gehören. Hinsichtlich der überkommenen inhaltlichen Auseinandersetzungen haben die ökumenischen Dialoge zum Teil weitreichende Annäherungen aufgezeigt. Im Fall der Rechtfertigungslehre wurde zwischen den wichtigsten christlichen Kirchen des Westens in bislang einzigartiger Weise sogar ein differenzierter Konsens festgestellt und dieser auch offiziell bestätigt. Die theologischen Diskussionen müssen intensiv weitergeführt werden, um bislang erreichte Annäherungen bewusst zu halten und weiter zu vertiefen.
Die Ökumene lebt, und so bleibt sie auch nicht unberührt von Entwicklungen, die sich zurzeit innerhalb der Kirchen vollziehen. Was die katholische Kirche angeht, befindet sie sich nicht nur hierzulande in einer tiefen Krise. Das hängt mit dem Aufdecken eines ungeahnten Ausmaßes von sexuellem Missbrauch durch Geistliche zusammen, aber, so erschütternd dies ist und so dringend dies der Aufarbeitung bedarf, hat sie darin nicht ihre einzige Ursache. In West- und Zentraleuropa sind seit Längerem weitreichende Säkularisierungstendenzen zu beobachten, die den christlichen Glauben und mit ihm die Kirchen sowie allgemein Religion und Glaube radikal in Frage stellen. Die Kirchen stehen hier vor vergleichbaren Herausforderungen. Dies führt zur Einleitung von Veränderungs- und Zukunftsprozessen, die – biblisch gesprochen – auf Umkehr und Neuausrichtung auf Jesus Christus und sein Wort zielen. Dabei werden in der katholischen Kirche auch Strukturen hinterfragt, die den Missbrauchsskandal begünstigt haben, die aber auch darüber hinaus als nicht mehr geeignet für eine glaubwürdige Verkündigung des Glaubens erscheinen.
Interne kirchliche Prozesse binden viel Kraft, ermöglichen aber immer wieder auch Synergieeffekte durch wechselseitige Beobachtung und Begleitung der ökumenischen Partner. In aktuellen Entwicklungen in der katholischen Kirche sehe ich aber auch darüber hinaus ein zukunftsweisendes Potential für die Ökumene. Im Synodalen Weg in Deutschland ebenso wie in dem von Papst Franziskus eröffneten weltweiten synodalen Prozess werden Perspektiven hin zu einer Betonung des Bischofskollegiums in der Gemeinschaft mit dem Papst und hin zu einer Stärkung der Stimme des ganzen Gottesvolkes erkennbar. Noch ist nicht absehbar, wohin diese Aufbrüche führen. Aber ich hoffe sehr, dass eine Bewegung, die der Synodalität mehr Gewicht gibt, auf unterschiedliche Weise auch den ökumenischen Dialog mit der Orthodoxie und mit den evangelischen Traditionen beflügeln wird. Und ich wünsche mir, dass die Stärkung der Synodalität innerhalb der katholischen Kirche einhergeht mit der Suche nach kirchen- und konfessionsübergreifenden synodalen Strukturen, um so die bereits gegebene Einheit noch sichtbarer zu machen und auf dem Weg zur vollen sichtbaren Einheit in versöhnter Verschiedenheit, die das Ziel der Ökumene ist, weiter voranzukommen.
Von Christus selbst sind wir zur Einheit gerufen. Bleiben wir mit ihm und einander in ökumenischer Weggemeinschaft verbunden!
(kna: Foto: Sperling)