Überrascht und erfreut
Bischof Dr. Gerhard Feige mit einem Wahlnachruf zum Ausgang der Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt
Überrascht, erfreut und stolz nehme ich das Ergebnis unserer Landtagswahl zur Kenntnis. Nach all den Befürchtungen der letzten Zeit ist es ein ausdrucksstarkes und hoffnungsvolles Signal für die Mündigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt. Über 75 % der Wählerinnen und Wähler haben sich für Parteien entschieden, die eine konstruktive Politik erwarten lassen. Besonders gratuliere ich Ministerpräsident Dr. Haseloff für seinen überzeugenden Erfolg. Ich danke aber auch allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich nicht von markigen Parolen und simplen Sprüchen haben beeinflussen lassen, sondern im Rahmen christlicher Prinzipien und freiheitlich-demokratischer Werte ihrer Vernunft gefolgt sind.
Ostdeutsche fühlen, denken und wählen zwar oftmals anders, aber sie sind größtenteils nicht rechtsextremistisch gesinnt oder „für die Demokratie verloren“. Man sollte sie nicht nur auf ihre Sozialisation vor 1990 festlegen, sondern auch ihre Erfahrungen mit den gravierenden Umbrüchen und belastenden Entwicklungen danach ernstnehmen. Viele sind inzwischen „veränderungserschöpft“ (Steffen Mau). Dazu kommen noch die Schwächen, die eine Demokratie hat. Sie kann missverstanden und missbraucht werden. Manche Bürgerinnen und Bürger fühlen sich überfordert oder durch Behörden ungerecht behandelt. Es fällt ihnen schwer zu verstehen, dass man mitunter aus rechtlicher Sicht sehr extreme Meinungen noch duldet, anderes aber verbietet. Sie fühlen sich nicht ernstgenommen oder glauben nicht, etwas verändern zu können. Andere wiederum nutzen ihre Möglichkeiten schamlos aus und bedienen sich selbst. Machtkämpfe, Postenschacher und Korruption sind nicht nur autoritären Systemen eigen. Außerdem gibt es auch solche, die mit demokratischen oder kriminellen Mitteln versuchen, unsere Demokratie zu untergraben und zu Fall zu bringen. Das macht skeptisch und lässt manchmal Zweifel an der Richtigkeit des politischen Systems aufkommen.
Da sind Wachsamkeit und Zivilcourage vonnöten. Keinesfalls dürfen die rechtlichen, sozialen und humanitären Errungenschaften unserer Gesellschaft aufs Spiel gesetzt werden! Gegen alle andersartigen Bestrebungen von rechts, links oder auch aus der bürgerlichen Mitte muss es unser erstes Anliegen bleiben, die Würde eines jeden Menschen zu schützen und dem Gemeinwohl zu dienen! Viele Probleme sind sowohl komplex als auch kompliziert. Sie lassen sich nur mit großer Anstrengung und einem langen Atem lösen, nicht mit ausschließlichen Eigeninteressen und „völkischen“ Abgrenzungen, Feindbildern und Verschwörungstheorien, Hetze und Hass oder dem „Gift der einfachen Lösungen“.
Als populistische Sammlungsbewegung Unzufriedener agiert die AfD jedoch auf diese Weise, den Regionen und Milieus angepasst: mal – vor allem im Westen – gemäßigt bürgerlich oder christlich konservativ, volkstümlich und familienfreundlich, dann aber auch – vor allem im Osten – Ängste und Vorurteile schürend, fremdenfeindlich und nationalistisch. Das sollte weiterhin aufmerksam beobachtet und entschieden zurückgewiesen werden. Schließlich handelt es sich hierbei nicht um Nebensächlichkeiten, sondern um wesentliche Kriterien für Anstand und Menschlichkeit.
Zudem halte ich es für infam, wenn Frau Susanne Hennig-Wellsow von den Linken davon spricht, dass die Bürger in Sachsen-Anhalt fast zu 60 % rechts gewählt hätten, und Herr Oliver Kirchner von der AfD verharmlosend seine Partei und die CDU gemeinsam als konservativ bezeichnet. Neben rechts und links gibt es auch noch eine Mitte, und auf die haben die meisten Wählerinnen und Wähler gesetzt. Deren Vertrauen sollte die CDU als stärkste Kraft bei ihrer Koalitionssuche und Regierungsarbeit auch nicht verspielen. Das „Soziale mit dem Nationalen“ zu verbinden und sich der AfD anzunähern oder mit ihr in irgendeiner Weise zusammenzugehen, wie es einige CDU-Politiker in der Vergangenheit für möglich gehalten oder sogar angestrebt haben, würde ihre Glaubwürdigkeit schwer erschüttern. Dafür, das zu verhindern, steht aber Ministerpräsident Dr. Haseloff mit seiner klaren Positionierung. Möge er sich darin auch durchsetzen!
„Der Populismus“ – so habe ich einmal gelesen – „lebt von den Missständen, der Rest der Politik von deren Beseitigung.“ Insofern hoffe ich, dass baldmöglichst wieder eine stabile Regierungskoalition der Vernunft zustande kommt, die die gegenwärtigen Herausforderungen mit Klugheit und Elan angeht. Mögen in Sachsen-Anhalt auch weiterhin Solidarität, Weltoffenheit und ein friedliches Miteinander selbstverständlich sein.
+Gerhard Feige
Bischof von Magdeburg