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Heilig und katholisch?

Brief des Bischofs von Magdeburg zur österlichen Bußzeit 2022

Liebe Schwestern und Brüder, „Ich glaube an … die heilige katholische Kirche …“, so heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis, das zum festen Bestandteil vieler unserer Gottesdienste gehört. Seit einiger Zeit habe ich aber den Eindruck, dass es manchen immer schwerer fällt, das noch auszusprechen, und an dieser Stelle kaum noch etwas zu hören ist. Die Bestürzung und Scham über das, was an sexuellem und geistlichem Missbrauch unter uns ans Licht gekommen ist, macht sprachlos oder wütend. Hinzu kommen Erfahrungen, ungebührlich bevormundet oder sogar diskriminiert worden zu sein, auch das Ausbleiben notwendiger Reformen. Gelegentlich muss man sich anderen gegenüber schon verteidigen, noch in der Kirche zu sein. Kann oder darf da überhaupt von einer Heiligkeit der Kirche gesprochen werden? Ist das nicht heuchlerisch oder absurd, auf jeden Fall völlig aus der Welt? Einer unserer Diakone hat dazu neulich einmal gesagt: „Ich glaube nicht an das Bischöfliche Ordinariat Magdeburg, an die Deutsche Bischofskonferenz oder an die römische Kurie, aber immer noch an die heilige katholische Kirche.“ Dem kann ich nur zustimmen, ist die Wirklichkeit von Kirche doch bei weitem umfassender und tiefgreifender, als es in solchen Organisationsformen oder menschlichen Verhaltensweisen zum Ausdruck kommt. Davon bin ich fest überzeugt! So habe ich Kirche auch seit meiner Kindheit erfahren, überwiegend hilfreich und heilsam. Sonst wäre ich nicht Priester und erst recht nicht Bischof geworden.

Was aber ist mit der Heiligkeit der Kirche gemeint? Frühere Generationen haben sich damit leichter getan, vor allem seit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kirche wieder ganz neu als Gemeinschaft der Glaubenden entdeckt wurde. Für viele katholische Christen und Christinnen trat in den Vordergrund, dass Christus – wie es im Epheserbrief heißt (5,25f.) – die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, „um sie zu heiligen“ und „herrlich vor sich hin(zu)stellen, ohne Flecken oder Falten oder andere Fehler […] “  Und das wurde nicht nur mit der Vollendung der Kirche bei der Wiederkunft Christi in Verbindung gebracht, sondern gerade auch mit ihrer historisch konkret erfahrbaren Gestalt.

Zweifellos teilen die meisten eine solche unkritische und romantische Sicht der real existierenden Kirche längst nicht mehr. Stattdessen gibt es schon seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein viel stärkeres Bewusstsein dafür, dass die Kirche auch menschlich und damit sündig ist. „Sie ist“ – heißt es in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ (LG 8) – „zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig.“ Man könnte sie auch als göttlich-menschliches „Mischwesen“ bezeichnen, als eine Gemeinschaft von Menschen, die aus allen Völkern und Nationen herausgerufen und auserwählt worden sind, und zugleich als ein Organismus, dessen Haupt Jesus Christus bildet. Sie ist das große Geheimnis und Sakrament, das die innigste Vereinigung mit Gott und den Menschen untereinander anzeigen und bewirken soll. Das Lebensprinzip, das sie dabei stets erneuert und in der Wahrheit hält, ist der Heilige Geist. Er bewirkt, dass die Kirche grundsätzlich heilig bleibt und nicht ausschließlich irdische Züge annimmt. Letztlich ist sie also nicht aus sich selbst oder allein unser Werk. Damit meint Heiligkeit der Kirche auch nicht in erster Linie ihre und ihrer Mitglieder ethische oder moralische Vollkommenheit, sondern vor allem, dass sie unlösbar zu Gott gehört und von ihm immer wieder ihre eigentliche Wirkkraft bezieht.

Auch wenn wir die Kirche liebend gern idealer hätten, ist sie – so beschreibt es Albert Görres – wie die Sonne für alle da: Für Gerechte und Ungerechte, […]  Dumme und Gescheite; für Sentimentale ebenso wie Unterkühlte, für Neurotiker, Psychopathen, Sonderlinge, […], für Feiglinge und Helden, Großherzige und Kleinliche. […] Auch für kopf- und herzlose Bürokraten, für Fanatiker und auch für eine Minderheit von gesunden, ausgeglichenen, reifen, seelisch und geistig begabten, liebesfähigen Naturen.“ Und er fügt hinzu: „Die lange Liste ist nötig, um klarzumachen, was man eigentlich von einer Kirche, die aus allen Menschensorten ohne Ansehen der Person, […] wie wahllos zusammengerufen ist und deren Führungspersonal aus diesem bunten Vorrat stammt, erwarten kann – wenn nicht ständig Wunder der Verzauberung stattfinden, die uns niemand versprochen hat. Heilige, Erleuchtete und Leuchtende sind uns versprochen. Wer sie sucht, kann sie finden.“[1] Daraus aber folgt: Jede und jeder von uns Getauften und Gefirmten kann somit das Antlitz der Kirche verdunkeln, jede und jeder kann aber auch ihr Leuchten verstärken. Es bleibt also immer der Anspruch, sich durch Christus, sein Wort und seine Sakramente heiligen zu lassen und selbst zur Heiligkeit der Kirche beizutragen.

Und dann ist ja auch noch von der „katholischen“ Kirche die Rede. Manche, die sich heutzutage schwertun, das auszusprechen, haben – so meine ich – noch andere Bedenken als die gegenwärtigen Anfragen oder Zweifel an deren Glaubwürdigkeit. Dahinter steht vermutlich auch die Sorge, mit dieser Formulierung Gläubige anderer Konfessionen auszugrenzen. In der Tat sprechen evangelische Christinnen und Christen an dieser Stelle seit Martin Luther in der Regel von der „christlichen“ oder auch „allgemeinen“ Kirche. Das hängt damit zusammen, dass das aus dem Griechischen stammende Wort „katholisch“ sich infolge der Reformation und weiterer zwischenkirchlicher Auseinandersetzungen zu einem konfessionalistischen Abgrenzungs- und Kampfbegriff entwickelt hatte. Doch mit „katholisch“ ist nicht ausschließlich unsere konkrete römisch-katholische Kirche gemeint, sondern die Übereinstimmung im Glauben, die sowohl die Zeiten übergreift und auf den Ursprung zurückweist als auch die Gegenwart weltweit verbindet. „Katholisch“ ist damit ein anderes Wort für umfassend und ganzheitlich. „Katholische Kirche ist dort“ – so schreibt Kardinal Walter Kasper – „wo kein Auswahlevangelium und keine parteiische Ideologie, sondern der ganze Glaube aller Zeiten und Räume in seiner Fülle ohne Abstriche verkündet wird, [...], wo man im Heiligen Geist hör- und lernbereit ist für das je Größere und je Neuere der in Jesus Christus in menschlicher Gestalt erschienenen Fülle […]“.[2] In diesem Sinn können alle Christinnen und Christen sich zur „katholischen“ Kirche bekennen, ohne sich aufzugeben oder vereinnahmt zu fühlen. Ab und an geschieht dies auch bei ökumenischen Gottesdiensten.

Liebe Schwestern und Brüder, diese Fülle allen Menschen zukommen zu lassen, ist die wesentliche Sendung der Kirche. Insofern bedeutet der Glaube an ihre Heiligkeit und Katholizität, davon überzeugt zu sein, in ihr und durch sie Gottes Gnade zu erfahren. Konkret heißt das auch, es für möglich zu halten, dass Gott selbst durch unsere institutionelle und persönliche Begrenztheit und Gebrechlichkeit Heil wirken und damit gewissermaßen „auf krummen Zeilen gerade schreiben kann“. Sicher gelänge das noch besser, wenn Macht in unseren Reihen nicht so absolut und unkontrolliert ausgeübt werden könnte. Darum sollte, wer sich zur „heiligen katholischen Kirche“ bekennt, immer auch sofort daran denken, dass sie in ihrer sichtbaren Gestalt ständig der Umkehr bedarf und erneuert werden muss, um tatsächlich Gottes hoffnungsvolles Zeichen und tatkräftiges Werkzeug unter den Menschen zu sein. Das aber bedeutet dann ebenso, uns als Glieder dieser Kirche mit allen Kräften darum zu bemühen, dass sie wieder glaubwürdiger und menschenfreundlicher wird. Geben wir nicht auf! Verlieren wir nicht den Mut! Bewahren wir uns Hoffnung und Zuversicht! Bekennen wir auch vielleicht wieder lautstärker oder trotziger: „Ich glaube an die heilige katholische Kirche.“ Dazu erbitte ich uns allen den Segen des allmächtigen und barmherzigen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Magdeburg, am 1. Sonntag der österlichen Bußzeit 2022

Ihr

Dr. Gerhard Feige

       Bischof

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[1] A. Görres, in: A. Görres / W. Kasper (Hg,), Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? Anfragen an Eugen Drewermann (QD 113), Freiburg 1988, 134.

[2] W. Kasper, Die Kirche Jesu Christi – auf dem Weg zu einer Communio-Ekklesiologie, in: ders., Die Kirche Jesu Christi. Schriften zur Ekklesiologie, Freiburg 2008, 15-120, hier 54.

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