„Leuchtendes und bewundernswertes Beispiel“
Vormundschafts-Verein „refugium“ für junge unbegleitete Kinder und Jugendliche auf der Flucht feiert seinen 25. Geburtstag
Mit einem Festakt und feierlicher Andacht wurde der 25. Geburtstag von „refugium“ gefeiert. Gefeiert wurde ein Vierteljahrhundert Engagement für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt. Da viele der betreuten Kinder und Jugendlichen muslimisch geprägt sind und auch die anwesenden Gäste in verschiedenen Religionen, Konfessionen oder Weltanschauungen zuhause sind, wurde die Andacht in interreligiöser Geschwisterlichkeit gefeiert. Texte aus dem Alten Testament, aus dem Koran und aus dem Neuen Testament wurden vorgelesen und Christen und Muslime beteten auf je eigene Weise, aber in den Anliegen vereint. „Christus wird uns am Ende unseres Lebens nicht fragen, ob wir erfolgreich das Abendland verteidigt haben, sondern ob wir denen geholfen haben, die aus Not und Bedrängnis zu uns geflüchtet sind,“ so Bischof Dr. Gerhard Feige in seinen Gedanke zu den Lesungstexten.
„Migration ist zu einer der bedrängendsten politischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit geworden. Wie wir mit Flüchtlingen und Fremden umgehen, zeigt, welcher Geist in unserer Gesellschaft herrscht, und entscheidet zugleich auch über unsere Zukunft. Hier sehen wir uns als Christen besonders gefragt. Als Kirche sind wir ja von Anfang an eine internationale Gemeinschaft von Weltbürgern und kein kleinkarierter Verein von „Nationaltümlern“ oder „Hinterwäldlern“, die sich nur im eigenen Milieu wohlfühlen und darin verbarrikadieren,“ so Feige. Darum gehöre es immer schon zur Aufgabe von Kirche, Anwältin für Migration und Integration zu sein.
„Die biblischen Schriften kennen die Erfahrung des eigenen Fremdseins. Sie erzählen von der Sorge und vom Mut, aufzubrechen und Grenzen zu überschreiten; geben Einblicke in das Gefühl der Aussichtslosigkeit und Resignation; ja, sie verschweigen auch nicht die Erfahrung der Ablehnung,“ so der Bischof. „Auf diesem Hintergrund formulieren die Texte der Bibel in beispielloser Weise Hinweise und Gebote, die den Umgang mit Fremden bestimmen. Hinwendung, Hilfe, Schutz und Integration sind dabei die maßgebenden Kategorien.“
„Biblisch finden wir keine Asylpakete, die Schritt für Schritt Rechte und Möglichkeiten, Unterstützung und Zuwendung beschneiden, die Abschreckungsmaßnahmen und Abschiebegründe kennen. Es werden uns aber Orientierungspunkte und Wegmarken vorgegeben, an denen wir uns und unser Tun ausrichten können. Dabei handelt es sich nicht nur um einen Appell oder gut gemeinte Ratschläge. Die bedingungslose Aufnahme Fremder ist vielmehr gesetzlich verankert und mit der Identität des Gottesvolkes verknüpft. Der Schutz der Fremden wird damit zum Prüfstein für die Bewahrung der eigenen Identität und für den Glauben an den Gott, der auch Israel selbst auf dem Weg als Fremde begleitet und beschützt hat.“
Und auch der Koran bringe zum Ausdruck, dass Gott die Manifestation der Liebe und Barmherzigkeit sei und nur dann zwischen uns Menschen wirkliche Liebe herrsche, wenn sie gelebte Wirklichkeit wird.
„Es gibt viele Möglichkeiten, Nächstenliebe zu zeigen und sich um Fremde zu kümmern. Und es gibt auch bereits viele positive Beispiele, wo eine solche Hinwendung zu den Menschen gelebte Praxis ist. Dazu gehört zweifellos die Sorge um geflüchtete Kinder und Jugendliche, die ohne elterliche Begleitung unser Land und unser Bistum erreichen. Ein leuchtendes und bewundernswertes Beispiel ist dafür der Verein „refugium“ mit seinem langjährigen Engagement in der Vormundschaftsführung und der Begleitung minderjähriger Menschen, die ohne erwachsene Bezugspersonen auf der Flucht sind“, so der Bischof. „Das heutige Jubiläum gibt Anlass, dieser Flüchtlingsgruppe, die eines besonderen Schutzes bedarf, eine größere Aufmerksamkeit zu geben. Für mich ist es aber auch der Anlass, allen von ganzem Herzen zu danken, die sich haupt- oder ehrenamtlich mit großem Eifer dieser Herausforderung stellen. Ihrer aller Arbeit und Engagement erfordern Mut, Fingerspitzengefühl und sicher immer wieder eine „leidenschaftliche Gelassenheit“ angesichts mancher Hindernisse und Widerstände.“
Von solchen Hindernissen, aber auch ihre Überwindung, berichtet Yusuf, der von „refugium“ begleitet wurde. Er ist sichtlich stolz. „Ich bin jetzt Software-Entwickler in einer Magdeburger Firma“, sagt der 22-Jährige. Doch der Weg dahin war steinig, als er sich mit 16 Jahren aus seinem von Terror und Bürgerkrieg geschüttelten Heimatland Somalia zunächst zu Fuß auf den Weg nach Europa machte. Und der Weg war nass, als das Flüchtlingsboot mit ihm an Bord im Mittelmeer unterging und es viele Stunden im Wasser dauerte, bevor ein Rettungsschiff ihn aufnahm.
Wie es Yusuf über Italien nach Sachsen-Anhalt verschlagen hat, berichtete er im Kreise vieler vertrauter Gesichter. Es waren die ehrenamtlichen Vormünder des Magdeburger Vereins „refugium“, die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen seit 25 Jahren zur Seite stehen. Sie helfen ihnen, „eine sichere Heimat und eine gute Zukunft finden“, wie Sachsen-Anhalts Integrationsbeauftragte Staatssekretäring Susi Möbbeck es beim Festakt zum Gründungsjubiläum des Vereins auf den Punkt brachte. „Seit 25 Jahren steht „refugium“ für gelebte Humanität, Nächstenliebe und Hoffnung. Mit viel Herzblut sorgt der Verein dafür, dass unbegleitete Geflüchtete auf ihrem Lebensweg nicht ins Stolpern geraten. Angesichts der weltweiten Krisen wird dieses wichtige Engagement für Kinderrechte auch in Zukunft gefragt sein.“
Den Engagierten bei „refugium“ geht es aber nicht nur darum, das komplexe und sich häufig verändernde deutsche Asylrecht zu kennen und den „Mündeln“ bei Kontakten mit Ausländerbehörden, Jugendämtern und Einrichtungen der Jugendhilfe zur Seite zu stehen. „Wichtig ist auch, die Talente und Interessen der jungen Menschen herauszufinden, damit sie eine passende Schul- und Berufsbildung erhalten“, betont Roland Bartnig, der Yusuf unter seine Fittiche genommen hatte. Bis heute freut er sich über dessen Wissbegier. „Bereits bei unserer ersten Begegnung fragte er nach Büchern“, erinnert sich der Vormund. „Ich habe erlebt, wie er etwas aus seinen Möglichkeiten macht, auch in schweren Momenten.“
Die gibt es immer wieder. Am meisten stört es Yusuf bis heute, wie ihn die Leute vermutlich wegen seiner dunklen Haut im Bus anschauen. „Anfangs fand ich es sehr anstrengend, jetzt ignoriere ich das“, sagt er. Um mit solchen Erfahrungen klar zu kommen, macht „refugium“ seinen Schützlingen ein besonderes Angebot. Es sind fachkundig geleitete Kreativwerkstätten mit Improvisationstheater, in denen die jungen Flüchtlinge ihre Ängste und Sorgen zum Ausdruck bringen können. „Entstanden sind viele ausdrucksstarke Bilder, die tief in die Seele schauen lassen“, so „refugium“-Vorsitzende Monika Schwenke über das Projekt, das nach ihren Angaben bundesweit einmalig ist.
Schwenke, die auch das Arbeitsgebiet Migration beim Caritasverband des Bistums Magdeburg leitet, gehört zu den Gründern von „refugium“. Den Anstoß für die Initiative gab nach ihren Worten, dass Sachsen-Anhalts zentrale Erstaufnahmestelle für Asylsuchende in Halberstadt Mitte der 1990er Jahre mit immer mehr unbegleiteten Jugendlichen „überfordert“ war und ehrenamtliche Hilfe suchte.
Seit 1997 hat der Verein, benannt nach dem lateinischen Wort für Zuflucht, 661 Vormundschaften für Kinder und Jugendliche aus 56 Ländern übernommen, davon 145 Mädchen. Sie kamen zunächst vor allem aus Vietnam, später verstärkt aus Nordafrika, Syrien und Afghanistan und nun auch aus der Ukraine. Die Vormundschaften dauern in der Regel zwei bis drei Jahre. Seit 2019 ist der aus Spenden finanzierte Verein Mitglied des Caritasverbands und erhält dadurch organisatorische Unterstützung. Die Schirmherrschaft von Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) ist ein Zeichen dafür, welche Bedeutung auch die Landespolitik „refugium“ beimisst.
Der Verein sei ein „leuchtendes und bewundernswertes Beispiel“ der Flüchtlingshilfe, pflichtete auch der Bischof bei. Und noch ein prominenter Unterstützer hatte bereits vorab seine Glückwünsche bekundet. Es war Joachim Gauck, der 2014 als Bundespräsident „refugium“ mit einem Besuch bundesweit bekannt gemacht und offenbar in guter Erinnerung behalten hatte. In einem Schreiben zum Jubiläum zollte er dem Verein „Respekt und Anerkennung“ für seine „wertvolle und nicht immer leichte Aufgabe“. An den Staat gerichtet mahnte er zugleich die weitere „politische Unterstützung und Rückendeckung“ an.
(Gregor Krumpholz, KNA, sus; Foto: Sperling)
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