Hunger nach Sinn
Fronleichnams-Feier im Magdeburger Dom mit anschließender Prozession zur Kathedrale St. Sebastian
Sichtlich gerührt begrüßte Bischof Dr. Gerhard Feige zum Hochfest des Leibes und Blutes Christi die zahlreichen Gottesdienstbesucher im Magdeburger Dom. „So etwas haben wir schon lange nicht mehr erlebt“ sagte der Bischof beim ersten Fronleichnamsgottesdienst nach den Coronaeinschränkungen. Dank der ökumenischen Gastfreundschaft konnten die Katholikinnen und Katholiken der Landeshauptstadt dieses „katholischste Fest“ im evangelischen Dom mit anschließender Prozession zur Kathedrale St. Sebastian feiern, eingerahmt von den Erstkommunionkindern, den Messdienern, den Pfadfindern und Vertretern von Kolping, Maltesern und den Grabesrittern sowie einem bunten Teppich der kfd-Frauen .
In seiner Predigt ging der Bischof auf das Evangelium der Brotvermehrung ein und die schreckliche Fratze des vielfachen Hungers auf unserer Erde als eine der größten Herausforderungen der Weltgemeinschaft. „Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen als Folgen des Klimawandels verursachen existentielle Nöte, Ernten fallen aus, Vorräte sind längst aufgebraucht. Mit dem Krieg in der Ukraine und anderen Konflikten wird sich das noch verschärfen, auch bei uns, wo wir es erst anfanghaft spüren.“ Immer deutlicher werde sichtbar, wie abhängig wir voneinander seien, nicht nur in Fragen der Ernährung, sondern „auch darüber hinaus, wie das Verhalten eines Landes, eine grundsätzliche Ideologie oder ein politisches Programm, wie einzelne Machthaber oder selbst unser ganz persönliches Handeln Auswirkungen haben: auf das gesamte Ökosystem, das menschliche Zusammenleben und auch die Zukunft der nächsten Generationen. Aber nicht nur anderswo, auch unter uns haben Menschen nicht jeden Tag genug zu essen.“
Aber auch eine andere Art von Hunger sei deutlich in unserer Gesellschaft zu spüren: „Viele Menschen suchen danach, was ihrem Leben Sinn geben kann. Immer mehr sind am Rande der Erschöpfung, weil sie über Gebühr arbeiten müssen, und für das, was sie leisten, nicht angemessen bezahlt werden.“
Auch im Lukas-Evangelium ging es um existenzielle Fragen, seien die Menschen am Ende des Tages hungrig, erschöpft und auf der Suche nach Sinn. „Wer kann an der Situation etwas ändern? Wer ist verantwortlich? Zwei mögliche Antworten bietet der Text. Da ist zunächst die Reaktion der Jünger; sie verweisen auf die eigene Verantwortlichkeit derer, die ihnen gefolgt sind. Und so bitten sie Jesus, diese wegzuschicken, damit sie sich um sich selbst kümmern und das für sie Notwendige besorgen können. Wahrscheinlich fühlen sich die Jünger mit der großen Anzahl der hungrigen Menschen schlichtweg überfordert und wissen nicht, wie sie diese Herausforderung bewältigen können. Jesus aber gibt eine andere Antwort: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ Das klingt so, als wolle er sagen: Überlasst diese Menschen nicht einfach sich selbst, sondern nehmt die Verantwortung für sie wahr.“
Auch heute stelle sich die Frage, was wir angesichts der Tatsache, nur fünf Brote und zwei Fische zu haben, machen? „Wie verhalten wir uns als bürgerliche Gesellschaft und demokratisches Gemeinwesen den Menschen gegenüber, die hungrig und erschöpft sind? Sind wir uns der Tatsache bewusst, dass unser Handeln Auswirkungen auf das Leben und Überleben anderer Menschen hat? Setzen wir unsere Kräfte fast ausschließlich nur dafür ein, das eigene Leben zu bessern, Karriere zu machen und Spaß zu haben? Oder bemühen wir uns auch um Gerechtigkeit und Barmherzigkeit für andere und darum, dass möglichst viele menschenwürdig leben können?“
Das Fest Fronleichnam sei da wie ein Fingerzeig, der daraufhin weist, dass es etwas gäbe, das unseren Alltag übersteigt. „Zugleich verdeutlicht Fronleichnam in den Krisen und Brüchen unserer Zeit, wie sehr wir der Gemeinschaft bedürfen. Ja, es zeigt, dass nicht jeder und jede nur für sich allein lebt und leben kann.“
In diesem Sinne sei Fronleichnam nicht nur ein Fest, dass eigentlich kaum noch verstanden werde; „es fragt uns auch kritisch an, wieviel Raum wir der Frage nach dem Sinn geben und wieviel Gespür wir dafür haben, nicht nur an uns selbst zu denken, sondern auch das Elend und Leid anderer wahrzunehmen. Insofern fordert uns das Fest Fronleichnam auch heraus, unsere Gesellschaft empfindsam und liebevoll mitzugestalten. Die Wundererzählung von der Speisung der Fünftausend bei nur fünf Broten und zwei Fischen will uns dazu anregen, darüber nachzudenken, ob nicht auch eine andere Welt möglich sein kann – nämlich dann, wenn wir die Verantwortung nicht einfach zurückgeben, sondern tätig werden – mit den Möglichkeiten, die wir haben“, so der Bischof.
Die festliche musikalische Gestaltung des Gottesdienstes und der anschließenden Prozession unter der Leitung von Kirchenmusikerin Sandra Schilling erhielt viel Beifall: es sang der Dekanatskirchenchor, die Erstkommunionkinder und Kantor Dr. Christoph Ilgner, gespielt haben die Original Rottersdorfer Bläser und Kathedralmusiker Matthias Mück an der Orgel.
(sus; Fotos: Susanne Sperling)