Sternstunde der Menschheitsgeschichte
Feierliche Christmette aus der Kathedrale St. Sebastian in Magdeburg
„Heute ist euch der Retter geboren.“ Mit einer Vigilfeier und Pontifikalchristmette feierten die Christinnen und Christen in Magdeburg die Geburt Jesu in der Kathedrale St. Sebastian als „Sternstunde für die Menschheitsgeschichte“. Die musikalische Untermalung durch den Kathedralchor unter der Leitung von Matthias Mück und des Soloklarinettisten der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck Jerzy Bojanowski bildeten den feierlichen Rahmen für den Heiligen Abend.
Dabei handelt es sich, wie Bischof Dr. Gerhard Feige in seiner Predigt sagte, um ein zunächst unspektakuläres Ereignis. „Eingewickelt in Windeln liegt er als Kind in einer Krippe, weil in der Herberge kein Platz ist. Gott kommt in unsere Welt, aber nicht mit großem Aufsehen, sondern fast unbemerkt. Und doch wird es eine Sternstunde der Menschheitsgeschichte sein, nicht nur für jene, die sich künftig als Christinnen und Christen verstehen und in Jesus von Nazareth den Erlöser sehen. Dieses Ereignis war von so enormer Bedeutung, dass sich unsere Zeitrechnung sogar daran orientiert und wir von den Jahren vor und nach Christi Geburt sprechen. Ohne Frage hat das, was wir an Weihnachten feiern, einen bedeutenden Einfluss auf die Geschichte der Menschheit genommen.“
In einem Jahr, in dem das Wort Zeitenwende zum Wort des Jahres gewählt wurde, werde auch deutlich, dass für die Menschen zur Zeit Jesu seine Geburt eine echte Zeitenwende war. „In besonders verdichteter Weise lagen angesichts einer großen Perspektivlosigkeit die Erwartung und die Hoffnung auf einen Erlöser in der Luft. Viele Menschen lebten am Rande der Gesellschaft, armselig und unterdrückt. In dieser Situation waren sie für eine Botschaft, die ihnen den Weg zu einem Leben in Fülle zeigen wollte, besonders offen.“ Seine Botschaft sei schließlich herausfordernd gewesen. „Werdet einfacher in eurer Lebensführung, lasst euch anrühren vom Schicksal der Menschen, seid gerecht auch dort, wo euch Unrecht widerfährt.“
„Von einer Zeitenwende wurde auch in den letzten Monaten immer wieder gesprochen“, so der Bischof. „Der Angriffskrieg auf die Ukraine war es, der eine regelrechte Zäsur gesetzt hat. Auch die voranschreitenden Auswirkungen des Klimawandels machen die Veränderungen um uns herum überdeutlich. Bereits jetzt können wir schon von einem Vorher und einem Nachher sprechen. Es braucht nicht viele Worte und Beispiele, um deutlich zu machen, wie sich die Zeit gewendet hat. Wir merken es gerade in den alltäglichen Dingen: Lebensmittelpreise steigen, Wohnungen und Büroräume sind kühler, zu den vielen Flüchtlingen zählen nun auch Menschen aus Europa, mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger als ohnehin schon geraten in existentielle Not, uns bekannte Bäche und Flüsse trocknen aus, ganze Landschaften leiden unter den Auswirkungen des Klimas, viele Tierarten sind davon bedroht auszusterben. Angesichts einer solchen Zeitenwende fällt es uns nicht leicht, in den Freudengesang der Texte dieser Nacht einzustimmen. Vielmehr macht sich bei vielen Menschen das Gefühl breit, jetzt erst recht „im Land der Stockfinsternis“ zu wohnen.“
„Dass sich die Zeit für die Menschen bereits gewendet hat, davon erzählen die Texte dieser Nacht. In ihnen ist die Freude, die Erleichterung, die neu aufkeimende Hoffnung regelrecht greifbar. Auf ganz bildliche Weise nehmen die Verse des Propheten Jesaja auch uns mit auf dem Weg vom Dunkel hinein in eine Hoffnungsperspektive, die wie ein helles Licht über der Zeit der Unterdrückung und der Erfahrung der Gottesferne erstrahlt. Die Wirkmacht dieses wunderbaren Wandels geht auch an uns nicht spurlos vorbei.“
„Was hat uns Weihnachten, was hat uns die Geburt eines Retters und Erlösers dann also gebracht?“, fragt Der Bischof. „Zweifellos hat mit der Menschwerdung Gottes etwas Neues in dieser Welt begonnen – die Vollendung steht aber noch aus. Und in dieser Spannung leben auch wir – 2000 Jahre danach: gewissermaßen in einem Zustand des „schon“ und „noch nicht“. Bereits jetzt schon sind wir nicht mehr völlig beziehungs- und schutzlos dieser Welt ausgeliefert, den darin wirkenden Kräften und dem missbräuchlichen Gebrauch von Macht. In jedem Jahr feiern wir Weihnachten wieder als „eine Möglichkeit, als kairos – als eine Gelegenheit, die sich in einem bestimmten Augenblick öffnen und bieten wird“. So können wir das verstehen, was der Engel zu den Hirten sagt: „Heute ist euch […] der Retter geboren.“ Damit ist auch unser ‚Heute‘ gemeint. Damit ist auch gemeint, dass unsere gegenwärtige Zeit, die von großer Unsicherheit und unerträglichem Unfrieden gekennzeichnet ist, gewandelt werden kann.“
„Lassen wir uns von diesem kairos ergreifen, diesem rechten Augenblick, der eine Zusage für unser ganz persönliches Leben sein will. Und ergreifen auch wir den rechten Moment, den Moment der Entscheidung, um unsere Erde zukunftsfähig und diese Welt menschenfreundlicher zu gestalten.“ Dann werde Weihnachten nicht nur zu einer Sternstunde in unserem Leben, sondern auch zu einer Sternstunde für die Menschen, denen wir auf diese Weise begegnen.
„Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen in aller Unvollkommenheit dieser Welt ein gnadenreiches Weihnachtsfest, die Erfahrung göttlicher Nähe und menschlicher Zuwendung.“
(sus; Foto: Henriette Tekaath)
Predigt von Bischof Dr. Gerhard Feige zum Download