„Das Tun gibt Halt!“
Ökumenischer Jahresempfang der Kirchen in Zeiten der Krisen und zentrifugaler Gesellschaftskräfte
Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff, Mitglieder des Kabinetts, die Vizepräsidenten des Landtages Sachsen-Anhalts, Abgeordnete der Landes- und Bundesparlamente, Vertreter und Vertreterinnen von Verbänden und Unternehmen und viele mehr waren der Einladung der Kirchen zum ökumenischen Jahresempfang gefolgt. Im Namen der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, der Evangelischen Landeskirche Anhalts, der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Braunschweigs und des Bistums Magdeburg begrüßte Landesbischof Friedrich Kramer die Gäste nach zwei Jahren pandemiebedingtem Ausfall herzlich und voller Freude, auch wenn einem, in Anbetracht der zahlreichen Krisen in Kirche und Gesellschaft das Herz zerreißen könnte.
Trotz anhaltend hoher Austrittszahlen haben die Kirchen nach Auffassung von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff weiterhin eine bedeutende gesellschaftliche Rolle. Sie seien ein wichtiger Bestandteil von Kultur und Demokratie in Deutschland, sagte Haseloff in seinem Grußwort. Auch wenn Kirche und Politik oft unterschiedliche Auffassungen haben, so der Ministerpräsident, „sind wir immer beieinander geblieben und waren uns eine Stütze.“ Die Kirchen hätten trotz ihrer Minderheitenlage in dem Bundesland „eine ganz besondere Rolle“ dabei, dass es „ein gemeinsames Wertefundament unabhängig von persönlichen Weltanschauungen“ gebe. Er dankte vor allem für das Engagement in der Friedensfrage und für geflüchtete wie auch in ihrer Heimat verbliebene Ukrainerinnen und Ukrainer. Durch die aktuellen Kriegsereignisse sei auch die Gesellschaft in Deutschland in eine tiefe Krise geraten, erklärte Haseloff. Die Sehnsucht nach Frieden und das Gebet dafür seien deshalb zentrale Themen, die auch in das öffentliche Leben gehörten.
Festredner Prof. Holger Zaborowski, Lehrstuhlinhaber für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, sprach zum Thema „Was gibt uns heute noch Halt? Mensch und Gesellschaft in der Krise“. „Wir leben in schwierigen Zeiten“, so Zaborowski, für Kirchen sei es neben den Erschütterungen durch Missbrauch auch die Spannungen zwischen Bedeutungsverlust und Fundamentalismus. Politisch stellen der Krieg, aber auch soziale und ökologische Fragen und geopolitische Herausforderungen die Gesellschaft vor eine Zerreißprobe. Daraus ergeben sich nicht nur eine Krise des alten „Halts“ sondern auch Erfordernisse nach einem neuen, stärkeren Halt.
Zunächst definierte er verschiedene Formen von Halt, darunter die Fragen nach dem „Wozu lebe ich“, „für wen bin ich da, und wer für mich“, nach Haltung und aber auch nach dem Halt machen und Ruhe finden. Auch seien die Krisen von heute globale, miteinanderverwobene und fast jeden Menschen betreffende Krisen, sei es der Krieg in der Ukraine, die weltweite Covid-Pandemie, die ökologische Krise oder die Krise der Gründe für weltweite Migration. „Diese Krisen haben zentrifugale Kräfte auf die Gesellschaft“, so der Professor.
Krisen werden von den meisten Menschen weniger als Chance verstanden, sondern eher als eine tiefgreifende, grundlegende Haltlosigkeit. Zur Lösung und dem Aushalten dieser vielfältigen Krisen bedürfe es einer Kultur der Solidarität und Bildung. Bildung zur Orientierung, Empathie, Haltung, der Unterbrechung und dem Konkreten. „Solidarität könnte das heilende Schlüsselwort unserer Zeit werden“, so Zaborowski. Es sei ein mutmachendes Zeichen in Zeiten von Krisen, wenn solidarisches Handeln vorgelebt werde. „Das Tun gibt Halt!“
Bischof Dr. Gerhard Feige dankte dem Gastredner Prof. Zaborowski und den Gästen für ihr Interesse am Dialog mit den Kirchen. Er dankte aber auch für das musikalische Zwischenprogramm des Kammerchores der Biederitzer Kantorei unter Leitung von Michael Scholl und Sandra Schilling an der Truhenorgel. „Wir konnten Werke von drei großen Künstlern unseres Bundeslandes hören: “ Telemann, Schütz und Scholl!“, so Feige unter dem Klatschen der Zuschauer. Außerdem dankte der Bischof für die Bewirtung durch das Christliche Gemeinschaftswerk Magdeburg und die Gastfreundschaft des Norbertusgymnasiums. Zum Ausklang spielte „Jam-Fest“ auch als Friedensbotschaft an die Welt, mit dem ukrainischen Saxophonisten Enver Ibragimov und dem russischen Posaunisten Maxim Kulikov.
(sus; kna; Fotos: Sperling)