Erzählen – Hören – Staunen – Erwägen
Pontifikalamt mit Bischof Dr. Gerhard Feige zum Neuen Jahr
Am Hochfest der Gottesmutter Maria und dem Weltfriedenstag wünschte Bischof Dr. Gerhard Feige den Gläubigen beim Pontifikalamt zum Neuen Jahr Gottes Segen und alles Gute.
Die Corona-Pandemie habe wie ein Brennglas vieles deutlich hervortreten lassen, wie Bischof Feige in seiner Predigt sagte. „Vieles scheint aus dem Gleichgewicht geraten zu sein– nicht nur in der Natur, sondern auch in der Politik und im gesellschaftlichen Miteinander, selbst unter Christen. Oftmals scheint es an Maß und Mitte zu fehlen, ringt man nicht mehr sachlich um das bessere Argument und eine verantwortungsbewusste Lösung, sondern versucht eher, sich krampfhaft zu behaupten und den anderen verächtlich zu machen. Dabei ist nicht unbedingt der Bildungsstand entscheidend.“ Es seien vielmehr die Grundhaltungen wie Ängste und Befürchtungen, Prägungen und Erfahrungen, Vorurteile und Misstrauen, die zum Ausdruck kämen.
„Wissenschaftliche Erkenntnisse und medizinische Fakten werden ignoriert oder angezweifelt; stattdessen machen manche Falschmeldungen und Verschwörungsfantasien die Runde, wird polemisiert und polarisiert, begegnet man Hetze und Hass. Dabei bringt die Frage nach der Impfung das Fass seit Wochen fast zum Überlaufen. Der Ton wird rauer, die Aggressivität wächst, und mancherorts schlägt der Protest in Gewalt um; sogar Morddrohungen gehören dazu. Und wenn man dann noch an die Grenzen Europas oder in andere Krisen- und Konfliktzonen der Welt schaut, wird einem angesichts der zahllosen Unmenschlichkeiten immer schlechter.“
Das Evangelium Lukas 2,16-21, die Geburt des Gottessohnes und die Reaktion der unterschiedlichen Akteure biete bedenkenswerte Anregungen, wie man aus dieser Festgefahrenen Situation wieder herauskommen könnte. „Sie erzählen, hören, staunen und erwägen. Darin spiegeln sich Haltungen wider, die – so meine ich – die Grundlage für echte Begegnungen sein und einen Ausweg aus den gegenwärtig festgefahrenen Polarisierungen eröffnen können.“
Auch heutzutage hörten die Menschen vielen Erzählungen: über Geflüchtete, die Zuflucht in unserem Land oder andernorts in Europa suchen, über die Auswirkungen der Klimakrise oder die Gefahren, die vom Corona-Virus ausgehen. Dabei sind die Sicht- und Darstellungsweisen vielfältig und teils gegensätzlich. Lesen, recherchieren und sich eine Meinung bilden sei wichtig. „Darüber hinaus ist es aber auch hilfreich und notwendig, sich mit anderen Menschen auszutauschen – auch Ansichten zur Kenntnis zu nehmen, die uns eher herausfordern als bestätigen. Nur im Wettbewerb der Ideen kommen wir der Erkenntnis und dem Verständnis der Wirklichkeit näher.“
Die Frage sei aber, „wie wir mit den Erzählungen umgehen. Setzen wir sie so sehr absolut, dass daneben keine anderen Erzählungen bestehen können? Messen wir sie an den Regeln der Logik und Vernunft oder folgen wir eher irrationalen und abergläubischen Deutungen, die niemand wirklich überprüfen kann?,“ so Feige.
Hier sei eine Haltung des Hörens und Zuhörens hilfreich, so der Bischof weiter. „Das setzt allerdings die Haltung des Staunens voraus. Man könnte es auch mit Offenheit wiedergeben: eine Offenheit gegenüber der Tatsache oder Möglichkeit, dass meine Überzeugung auch von eigenen Interessen geleitet sein kann und nicht unbedingt die ganze Wahrheit ist. Wenngleich nicht alle Meinungen geteilt oder akzeptiert werden müssen und können, braucht es für einen gelingenden Dialog jedoch zumindest die Offenheit der Auseinandersetzung und die Bereitschaft, die andere Seite zu hören und ernst zu nehmen.“
Auch wenn die Wirklichkeit sowohl komplex als auch kompliziert sei, helfe ein Blick auf Maria und ihre Haltung des Erwägens. „Erwägen, das meint überlegen, prüfen, durchdenken, vielleicht auch, erst einmal abwarten, aber dann nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen““.
„Auch das neue Jahr wird uns darin einiges zumuten. Da ist es angesichts der drängenden Probleme weiterhin nötig, um geistvolle Antworten und brauchbare Lösungen zu ringen. Vor allem braucht es ein Bewusstsein dafür, dass es nicht zuerst darum geht, wer Recht oder Unrecht hat, sondern um Menschen und ein menschenwürdiges Leben. Wen das Leid der Menschen an den Grenzen und auf dem Mittelmeer unberührt lässt, wer Menschen aufgrund der Herkunft aus einem anderen Land oder der Zugehörigkeit zu einer anderen Religion ausgrenzt und ihnen mit Gewalt begegnet, wer die eigene Überzeugung mit Hass und Morddrohungen durchsetzen will, setzt nicht nur deren, sondern auch seine eigene Menschenwürde aufs Spiel.“
Um aus den Konfliktsituationen unserer gegenwärtigen Zeit herauszukommen und die Krisen, die uns herausfordern, zu bewältigen, brauchen wir echte Begegnungen, das soll heißen: Begegnungen auf Augenhöhe, Begegnungen, bei denen wir von uns selbst erzählen und offen für die Erzählungen unseres Gegenübers sind, bei denen wir die Argumente erwägen, ohne sie vorschnell zu verurteilen. Seien wir also offen füreinander, haben wir Geduld miteinander und seien wir bereit, einander zuzuhören und voneinander zu lernen. Und sicher täte es uns auch gut, immer wieder einmal wie der heilige Franz von Assisi zu beten:
„Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo der Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.“
Predigt zum Download
(sus; Foto: Sperling)